Tanz mit dem Schafsmann
widmete mich wieder meinen Jalousien. Schluss jetzt mit den Phantasien! Heute ist mein praktischer Tag.
Um fünf machte ich einen Spaziergang nach Harajuku und hielt dort in der Takeshita-Straße nach einem Elvis-Anstecker Ausschau, aber es war nicht so leicht, einen zu finden. Es gab einen Haufen Zeug mit Kiss, Iron Maiden, Journey, AC/DC, Motörhead, Michael Jackson oder Prince, aber von Elvis keine Spur. Ich dritten Laden fand ich dann endlich, was ich suchte: einen Button mit der Aufschrift ELVIS, THE KING. Spaßeshalber erkundigte ich mich noch nach einem von Sly and the Family Stone, worauf mich die etwa achtzehnjährige Verkäuferin mit der Riesenschleife entgeistert anstarrte.
»Was soll ’n das sein? Nie gehört. New Wave oder Punk oder was?«
»Na ja, so was dazwischen.«
»In letzter Zeit kommt ein Haufen neues Zeug auf den Markt. Ehrlich. Kaum zu glauben«, sagte sie und schnalzte mit der Zunge. »Da kommt man gar nicht mehr mit.«
»Ganz meine Meinung«, pflichtete ich ihr bei.
Danach ging ich zu Tsuruoka, wo ich ein Bier trank und Tempura aß. Die Zeit plätscherte dahin, es dämmerte bereits. Sonnenaufgänge – Sonnenuntergänge. Und ich war ein zweidimensionaler Pacman, der sich ziellos durch ein Labyrinth punktierter Linien mampfte. Meine Situation machte keinerlei spürbare Fortschritte. Ich erreichte absolut nichts. Unterwegs vermehrten sich die Verbindungen auch noch, während die wichtigste Linie zu Kiki spurlos verschwunden war. Ständig geriet ich auf Umwege. Verschwendete meine Zeit und Energie auf Nebenschauplätzen. Wo war das Hauptereignis? Gab es denn überhaupt eins?
Da ich bis Mitternacht nichts weiter vorhatte, ging ich in Shibuya ins Kino und schaute mir The Verdict mit Paul Newman an. Der Film war nicht schlecht, aber ich war in Gedanken ganz woanders, sodass ich den Faden verlor. Ich erwartete jeden Moment, Kikis nackten Rücken zu sehen. Kiki – was willst du bloß von mir?
Als der Abspann kam, stand ich auf und verließ das Kino ohne die geringste Erinnerung, was ich soeben gesehen hatte. Ich schlenderte ein bisschen umher und ging dann in eine vertraute Bar, wo ich zwei Wodka-Gimlets trank und Nüsse knabberte. Kurz nach zehn machte ich mich auf den Heimweg. Zu Hause las ich ein Buch und wartete auf Gotandas Anruf. Hin und wieder warf ich einen Blick auf das Telefon. Ich hatte das Gefühl, es starre mich unentwegt an. Völlig neurotisch.
Schließlich schlug ich das Buch zu und legte mich aufs Bett. Ich dachte an meinen Kater Sardine, der nun unter der Erde lag. Vermutlich nur noch ein Skelett. Tief unten, wo Grabesstille herrscht. Auch die Knochen – mucksmäuschenstill. Schneeweiß und schön, ein reines Skelett, hatte der Kommissar gesagt. Ein Skelett, das nichts mehr von sich gab. Mitten im Wald lag er begraben. In einer Seibu-Tüte. Für immer stumm.
Da fiel mir auf, dass sich ein Gefühl der Hilflosigkeit im Zimmer ausbreitete. Leise füllte es den Raum, wie Wasser. Als würde ich eine Schneise durch diese Atmosphäre schlagen, ging ich zuerst ins Bad, wo ich Red Clay beim Duschen pfiff, und dann in die Küche, um ein Bier zu trinken. Ich schloss die Augen und zählte auf Spanisch von eins bis zehn, worauf ich in die Hände klatschte und » Finito« brüllte, meine Beschwörungsformel gegen das Gefühl von Ohnmacht. Und siehe da, es war wie weggeblasen. Ein Zauberspruch. Eine von vielen Fertigkeiten, die ich mir als Single angeeignet hatte. Ohne solche Tricks hätte ich nicht überlebt.
26
Es war halb eins, als Gotanda sich meldete.
»Tut mir leid, aber könntest du mich jetzt bei mir zu Hause abholen? Erinnerst du dich an den Weg?«
Ja, sagte ich.
»Es ging alles drunter und drüber. Ich bin einfach nicht weggekommen. Ich erzähl es dir später im Auto. Wir nehmen besser deinen Wagen. Mein Chauffeur soll nichts davon mitbekommen.«
»Da hast du Recht«, sagte ich. »Ich fahre gleich los. Bin in zwanzig Minuten bei dir.«
»Bis dann.«
Ich brauchte nur fünfzehn Minuten bis zu seiner Wohnung in Azabu. Er kam gleich runter, nachdem ich geklingelt hatte.
»Tut mir wirklich leid, dass es so spät geworden ist«, entschuldigte er sich nochmals. »Es war ein fürchterlicher Tag, nur Stress. Ich muss übrigens bald wieder los, nach Yokohama. Wir drehen morgen früh. Ich hab mir ein Hotelzimmer genommen, damit ich vorher noch ein paar Stunden schlafen kann.«
»Na, dann fahren wir doch am besten gleich nach Yokohama«, bot ich ihm an. »Dann können wir
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