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Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Mueller
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geschmückte Uniform, selbst die von kleinen Bahnbeamten, und sobald ein Offizier den Raum betrat, flogen ihm die Blicke der jungen Frauen zu. Die Gesellschaft veränderte sich, sie verehrte Stärke und sehnte sich nach einem bewaffneten Wettstreit der Völker.
    Er musste an das Buch denken, das Cäcilie neulich für Samuel gekauft hatte, die Geschichte von der Biene Maja und ihren Abenteuern. Selbst in diesem Kinderbuch wurde gekämpft, die Hornissen zogen in den Krieg gegen die Bienen. Die Bienen waren Soldaten, und es gab Offiziere, und die Bienenkönigin sagte: Im Namen eines ewigen Rechts, verteidigt das Reich! Dann starben viele, das wurde beschrieben, als sei es schön, das Sterben. Aber Sterben war nicht schön.
    »Komm, wir beten darum, dass du einen Freund findest.« Matheus schloss die Augen.
    Da begann Samuel auch schon. »Lieber Gott, ich wünsche mir einen Freund. Es ist so schwer, einen zu finden!«
    Mitten im Gebet öffnete Matheus die Augen. Er sah, wie sein Sohn die kleinen Hände ineinanderkniff und die Stirn ange strengt in Falten zog, als würde er eine schwierige Matheaufgabe lösen.
    »Kannst du mir zeigen, wer ein guter Freund wäre, Gott? Amen.«
    »Amen.« Matheus deckte den Siebenjährigen zu. »Jetzt kümmert sich Gott darum.«

4
    S chon nach dem ersten halbherzigen Versuch, sie betrunken zu machen, legte der Mann Nele die Hand aufs Bein. »Ein Freund von mir ist verreist«, sagte er, »ich hab die Schlüssel zur Wohnung. Wir wären ungestört.«
    Nele schob seine Hand weg. »Ich habe Ihnen gesagt, dass ich nicht so eine bin.«
    »Das gefällt mir ja gerade!« Er lächelte. »Komm, trink noch was.« Er stützte den Arm auf dem dunklen Holz des Tresens ab. Gleich riss er ihn wieder hoch und schüttelte den Ärmel, der in einer Bierpfütze zum Liegen gekommen war. Fluchend zog er ein Taschentuch hervor und putzte damit über den Fleck.
    Sie stand auf und verließ die Kneipe. Draußen prasselten kalte Regentropfen auf sie nieder.
    Der Mann stürzte ihr nach. »Bleib doch, es regnet, du wirst dir was wegholen!«
    »Ich hab keine Lust auf eine süße Nacht mit einem Mann, dem ich morgen gleichgültig bin. Geht das in Ihren Kopf?«
    »Blöde, prüde Pute.« Er machte kehrt.
    Das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich auf dem nassen Asphalt. Eine Elektrische rumpelte heran, der Boden bebte vom Gewicht des Eisenkolosses. Die Linie 12 Richtung Görlitzer Bahnhof, ein Glücksfall. Auf die zehn Pfennige kam es jetzt auch nicht mehr an. Nele stieg ein.
    Die Schaffnerin zog an der Schnur, die durch den Wagen lief, und die Glocke läutete. Mit einem Ruck fuhr die Bahn an. »Noch zugestiegen?«, fragte die Schaffnerin, obwohl sie genau gesehen hatte, dass Nele soeben eingestiegen war.
    Nele bezahlte und erhielt die Karte. In der Bahn war es genauso kalt wie draußen. Jedes Holpern, jedes Ächzen der Schienen ließ ihren Sitzplatz vibrieren. Sie war eins mit dem eisernen Ungetüm, es hatte sie verschluckt und zu einem Teil seiner Mechanik gemacht. So schaukelten sie durch die Stadt.
    Um sich abzulenken, sah Nele aus dem Fenster und las Schilder.
    Franz Noack. Gas & Wasser. 2. Stock.
    Ross-Schlächterei. Spezialität feine Wurstwaren.
    Achtung! Bissige Hunde.
    Beerdigungs-Institut. Lieferung in alle Krankenhäuser.
    Das eiserne Ungetüm ächzte durch die Nacht, Weidendamm – Prinz-Louis-Ferdinand-Straße – Dorotheenstraße – Kastanienwäldchen – Opernplatz – Hedwigskirche – Oberwallstraße. Es kämpfte sich in das ärmere Berlin hinein, auf Straßen mit Kopfsteinpflaster, wo die Gaslaternen mit ihrem trüben Schein kaum die Dunkelheit zu durchdringen vermochten. Die Fahrt brachte Nele zu den Miets kasernen und den schmutzigen Hinterhöfen, Hausvogteiplatz – Jerusalemer Straße – Oranienstraße.
    Mit ihr stieg ein Arbeiter aus, der stumm in die Nacht davonlief, die Schiebermütze tief in die Stirn geschoben. Nele ging über breite Bodenplatten. Aus überfüllten Regenrinnen stürzte das Wasser von den Hausdächern.
    Die Elektrische rumpelte davon. Sie hatte Gleise, die sie durch die Nacht führten. Und mein Leben, dachte Nele, ist aus den Schienen gesprungen. Wie soll ich nur weitermachen? Sie konnte sich vor lauter Schulden nicht einmal Chlorodont zum Zähneputzen leisten, geschweige denn ein Stück Käse oder Fleisch oder ein paar Eier. Im Kolonialwarenladen hatte sie so oft anschreiben lassen, dass die Inhaberin ihr nichts mehr gab, und wenn sie woanders hinging, wo man sie nicht

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