Tanz unter Sternen
Hochkonjunktur und überholte so die britische Wirtschaft. Auch in der Forschung gab es einen Aufschwung: Jeder dritte Nobelpreis für Naturwissenschaften ging vor dem Ersten Weltkrieg nach Deutschland. Das Reich fühlte sich stark, mit 67 Millionen Einwohnern stand Deutschland 1914, was die Bevölkerungszahl anging, unter den souveränen Staaten weltweit an vierter Stelle.
Gern wollten die Deutschen ihren Weltrang durch bedeutende Kolonien demonstrieren, so wie England sich mit seinen Kolonien, allen voran Indien, schmückte. Um sich Kolonien zu erwerben und um in den Kreis der Weltmächte vorzudringen, startete das Reich ein ehrgeiziges Flottenbauprogramm. Hiervon allerdings fühlten sich die Briten bedroht, deren Inselstaat und koloniale Großmacht auf der Überlegenheit ihrer Flotte gründete. Ein hartnäckiges Wettrüsten begann, dem sich bald weitere Staaten anschlossen.
Die Wirtschaftsrivalität erhöhte die Spannungen zusätzlich. Deutsche Firmen exportierten höchst erfolgreich chemische Produkte und Präzisionsmechanik. Die deutsche Spielwarenindustrie war damals die größte der Welt, ihr Anteil an der Weltspielwarenproduktion betrug 1914 etwa achtzig Prozent. Dampfmaschinen, Blechspielzeug, Puppen und Puppenhäuser wurden in Nürnberg oder Sonneberg in Thüringen hergestellt und in die ganze Welt verkauft.
Schon Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs entstand der fatale Glaube, ein Krieg in Europa sei nicht mehr zu vermeiden. Das Deutsche Reich fühlte sich isoliert durch das Bündnis von England, Frankreich und Russland und schloss sich mit Österreich-Ungarn zusammen. Die Staaten versuchten, vor Kriegsbeginn eine gute Ausgangsposition zu erlangen. Sie hoben zusätzliche Armeekorps aus und bauten Schlachtschiffe und U-Boote. 1914 drängte der deutsche Generalstab auf eine Kriegserklärung, da man glaubte, Frankreich rasch niederwerfen zu können. Außerdem fürchtete das Reich, beim Wettrüsten den Anschluss zu verlieren, da es um den deutschen Kapitalmarkt schlecht bestellt war.
Der Kurswert der zwischen 1906 und 1911 ausgegebenen Staatsanleihen im Deutschen Reich betrug 4 Milliarden Mark. Die konservativen Kräfte verhinderten ein Eintreiben der Rüstungsausgaben mittels Steuererhöhungen, also blieb der Regierung nichts anderes übrig, als weitere Anleihen auszugeben. Seit 1906 aber sanken die Kurse der Staatsanleihen rapide. Die Staatsverschuldung setzte den Kapitalmarkt unter Druck.
Um bei der bevorstehenden Mobilmachung rasch die Geldmenge erhöhen zu können und sich damit finanziellen Bewegungsfreiraum für den Krieg zu verschaffen, machte man 1909 – statt der bisherigen Silber- und Goldmünzen – die Banknoten der Reichsbank zum offiziellen Zahlungsmittel. Zwar sollten sie durch Goldreserven gedeckt sein, aber das Verhältnis der Goldreserven zur Papiergeldmenge wurde immer geringer. Das Papiergeld war bald immer weniger wert.
Reinhold von Sydow, Staatssekretär im Reichsschatzamt, schrieb am 3. Mai 1909, bereits fünf Jahre vor Kriegsbeginn, an den Präsidenten der Reichsbank, Havenstein: »Euerer pp. pflichte ich darin bei, dass sowohl für die Einbringung als auch für das Zustandekommen des Gesetzes, betreffend die Ausgabe von Reichsbanknoten zu 50 und zu 20 M, lediglich die Rücksicht auf die finanzielle Kriegsbereitschaft maßgebend war und dass die Ausgabe dieser Notenabschnitte hauptsächlich den Zweck verfolgte, das Publikum schon in Friedenszeiten an die kleinen Noten zu gewöhnen. Dieser Zweck kann, nachdem die Ausgabe der Noten jetzt bis zu der mit dem Reichstage vereinbarten Höhe von 300 Millionen Mark erfolgt ist, bereits als erreicht angesehen werden.« Die Scheine ersetzten nach und nach die goldenen 10- und 2 0 -Mar k - Stücke, die man für den Reichskriegsschatz einzog.
Die Entente-Mächte bemerkten allerdings, dass der deutsche Kapitalmarkt anfällig geworden war. Um ihn weiter unter Druck zu setzen, kaufte Frankreich 1912 diskret deutsche Staatsanleihen und verkaufte sie dann auf einen Schlag.
Eine bedeutsame Persönlichkeit im deutschen Finanzsektor war damals Ludwig Delbrück, der Sohn des Mitgründers und ersten Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Bank Gottlieb Adelbert Delbrück. 1886 wurde er Teilhaber des Bankhauses Delbrück, Leo & Co. 1910 vereinigte er seine Bank mit Berlins ältester Privatbank, Gebrüder Schickler, zum Bankhaus Delbrück, Schickler & Co. und wurde kaiserlicher Schatullenverwalter, das heißt, er verwaltete das Vermögen des
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