Tao Te Puh
einer solch harmonischen Lebensweise das Glücklichsein. Man könnte sagen, die auffälligste Charaktereigenschaft eines Taoisten ist unbeschwerte Heiterkeit; selbst in den tiefgründigsten taoistischen Werken wie beispielsweise dem 2500 Jahre alten Tao Te King wird noch ein feiner Sinn für Humor offenbar. Aus den Schriften des anderen großen taoistischen Autors Chuang-tse scheint leises Lachen herauszuperlen wie Wasser aus einer Quelle.
„Aber was hat das mit Essig zu tun?“ fragte Puh.
„Ich dachte, das hätte ich gerade erklärt“, entgegnete ich.
„Ich glaube nicht“, sagte Puh.
„Gut, dann will ich es jetzt erklären.“
„Das ist prima“, fand Puh.
Warum lächelt Lao-tse auf dem Bild? Schließlich hat dieser Essig, der das Leben symbolisiert, mit Sicherheit einen unangenehmen Geschmack, wie der Gesichtsausdruck der beiden andern Männer erkennen läßt. Aber im harmonischen Zusammenwirken mit den Gegebenheiten des Lebens verwandelt das taoistische Verständnis alles, was andere vielleicht als negativ empfinden, in etwas Positives. Nach taoistischer Auffassung rühren das Saure und die Bitterkeit vom Verstand her, der störend und nichtachtend eingreift. Das Leben an sich ist süß, wenn man es so begreift und nutzt, wie es nun einmal ist. Das ist die Botschaft der Essigkoster.
„Süß? Meinst du wie Honig?“ fragte Puh.
„Na ja, vielleicht nicht ganz so süß“, gab ich zur Antwort.
„Das wäre ein bißchen zuviel des Guten.“
„Sind wir eigentlich noch immer in China?“ erkundigte sich Puh behutsam.
„Nein, wir sind mit dem Erklären fertig und jetzt wieder zurück am Schreibtisch.“
„Ach so.“
„Da sind wir ja gerade rechtzeitig zum Essen wieder zurück“, fügte er hinzu und schlenderte zum Küchenschrank hinüber.
Was für ein Tao?
Eines Abends waren wir noch spät dabei, den Begriff Weisheit zu definieren, und gerade, als wir von alledem schläfrig wurden, ließ Puh die Bemerkung fallen, sein Verständnis für taoistische Prinzipien sei ihm von gewissen ehrwürdigen Ahnen überliefert worden.
„Wie wer zum Beispiel?“ fragte ich ihn.
„Wie Puh Tao-tse, der berühmte chinesische Maler“, antwortete Puh.
„Das ist Wu Tao-tse.“
„Und wie steht's mit Li Puh, dem berühmten taoistischen Dichter?“ fragte Puh sachte.
„Du meinst Li Po“, warf ich ein.
„Oh“, ließ sich Puh vernehmen und sah dabei auf seine Füße hinunter.
Dann kam mir ein Gedanke. „Das ist im Grunde auch einerlei“, sagte ich, „denn einer der wichtigsten taoistischen Grundsätze ist nach dir benannt.“
„Wirklich?“ fragte Puh und blickte etwas hoffnungsvoller drein.
„Na klar — P'u, der unbehauene Klotz.“
„Hatte ich ganz vergessen“, murmelte Puh.
Wir wollen nun versuchen, P'u, den unbehauenen Klotz, zu erklären. Ganz nach taoistischer Manier gehen wir aber behutsam dabei vor und erklären nicht zuviel, denn das macht nur konfuz und erweckt womöglich den Eindruck, als wäre alles eine reine Verstandessache, die ruhig auf der intellektuellen Ebene bleiben könnte und nicht weiter beachtet zu werden brauchte. Dann könntest du sagen: „Keine schlechte Idee soweit, aber worauf läuft das hinaus?“ Deshalb wollen wir lieber an verschiedenen Beispielen zeigen, worauf es hinausläuft.
Nebenbei bemerkt, P'u wird so ähnlich wie Puh ausgesprochen, nur mit etwas kürzerem u — es klingt wie das Geräusch, das entsteht, wenn du an einem heißen Sommertag einen Käfer von deinem Arm pustest.
Ehe wir nun unsern zuständigen Experten mit ein paar erhellenden Bemerkungen zu Wort kommen lassen, wollen wir die Sache noch etwas erläutern:
Die Lehre vom unbehauenen Klotz besteht im wesentlich darin, daß den Dingen so, wie sie in ihrer ursprünglichen Einfachheit sind, von Natur aus Kräfte innewohnen, die leicht zunichte gemacht werden oder verlorengehen, wenn dieses Einfachsein verändert wird. Für das Schriftzeichen P'u gibt das chinesische Wörterbuch die Begriffe „natürlich, einfach, schlicht, aufrichtig“ an. P'u ist aus zwei Schriftzeichen zusammengesetzt: das erste, das grundlegende Zeichen oder „Radikal“, bedeutet Baum oder Wald; das zweite, das phonetische oder lautbestimmende, ist das Zeichen für dichtes Gebüsch oder Dickicht. Von „Baum im Dickicht“ oder „Wald ohne Schnitt“ ist die Bedeutung „Dinge in ihrem natürlichen Zustand“ abgeleitet — in Übersetzungen von taoistischen Schriften oft als
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