Taquanta: Zwischen Traum und Wirklichkeit (German Edition)
bei Morgengrauen wecken würde. Schnell sank ich in einen tiefen Schlaf und hatte wunderbare Träume, in denen ein Junge mit kobaltblauen Augen und dazu passenden Flügeln die Hauptrolle übernahm.
Ich wurde wach, weil mich jemand sanft an der Schulter rüttelte. Stöhnend drehte ich mich auf die andere Seite. Dies löste jedoch einen stechenden Schmerz in meiner Wunde aus. Ich schrie auf, fuhr mit meiner Hand sofort dahin und presste sie darauf. Das aber liess den Schmerz noch stärker aufflammen.
»Geht es?«, erkundigte sich eine hinreissende Stimme. Ich fuhr herum und sah direkt in Giardios Augen. Nein, ich verlor mich regelrecht in ihnen. Die flackernden Schatten einer Kerze tanzten in seinen göttlichen Augen. Entfernt hörte ich eine gedämpfte Stimme, doch sie war zu weit weg, als das ich sie hätte verstehen können. Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter. Verwirrt riss ich mich von diesen traumhaften Augen los und horchte auf. Giardio sah mich ein wenig misstrauisch an, doch als er merkte, dass ich ihm meine volle Aufmerksamkeit schenkte, fuhr er fort: »Es ist Morgen. Wir brechen in ungefähr einer Stunde auf. Hier, du solltest dieses Kleid anziehen.«
Er hielt mir ein tiefrotes Kleid hin. Es hatte Puffärmel, einen V-Ausschnitt und war entlang des Saums unddes Ausschnitts mit elfenbeinfarbigem Garn bestickt. Es glich einer Robe aus dem Mittelalter. Ich zog die Augenbrauen hoch.
»Erstens solltest du vielleicht angepasster an diese Welt aussehen, dann erregen wir keine unnötige Aufmerksamkeit und können heiklen Fragen ausweichen. Und zweitens sind an deinen jetzigen Kleidungsstücken Blutflecken. Also bitte, zieh es an, während ich dir Frühstück hole.«
Er drückte mir das Kleid in Hand, dann ging er hinaus und schloss die Tür hinter sich.
Das Kleid kratzte und hatte einen komplizierten Verschluss. Meine schwarzen Turnschuhe passten nicht direkt dazu, aber der Saum verdeckte sie halb. Es klopfte an der Tür.
»Herein.«
Giardio trat ein. Er trug ein Tablett herein, das er auf den Tisch stellte. Mit einer einladenden Geste signalisierte er mir, dass ich nur zulangen sollte.
»Das Kleid passt, wie schön.«
Auf dem Teller befand sich ein Stück flaches Brot und eine Art Konfitüre. Sie war olivgrün und sah ziemlich gewöhnungsbedürftig aus. Ich riss ein Stück Brot ab und tunkte es in die mysteriöse Marmelade. Zögernd biss ich hinein.
»Das ist fabelhaft. Was ist das?«
»Efeublätter-Marmelade.«
Ich schlang den Rest hinunter, als hätte ich seit Tagen nichts mehr gegessen. Mein Haar fiel mir ins Gesicht und ich strich es mit einer gekonnten Bewegung hinter mein Ohr. Dann band ich es mit einem Haargummi, den ich immer um das Handgelenk trug, zu einem lockeren Knoten zusammen.
»In Ordnung?«, fragte ich ein wenig unsicher, drehte mich um die eigene Achse und endete mit einer Modell-Pose.
»Perfekt«, lachte er. »Wenn es dir recht ist, brechen wir jetzt auf. Deine Tasche liegt hinter deinem Schlaflager. Du hast sie fallen gelassen als … als ich dich fand. Ich habe sie in diesen Beutel getan, weil sie sonst zu stark auffallen würde. Nun, hast du alles?«
»Ja, ich habe nur noch eine Frage. Wieso muss ich mich umziehen und meine Tasche verstecken? Wieso sollen wir nicht auffallen?«
»Es ist nun mal so, dass es zu kompliziert wäre, die ganze Geschichte jedem erzählen zu müssen, und zweitens wollen wir die Leute ja nicht verunsichern.«
»Verunsichern?«
»Die Geschichte würde deine unerfreuliche Begegnung mit Calvin beinhalten, und das könnte sehr einschüchternd wirken.« Ich biss mir auf die Lippe und seufzte.
»Können wir aufbrechen?«, fragte er und reichte mir den Beutel. Ich nahm ihn entgegen, dann nickte ich langsam. Er strahlte mich an und abermals machte mein Herz Luftsprünge. Abrupt drehte er sich um und ging zur Tür. Sofort eilte ich ihm nach. An der Tür angekommen, sah ich mich noch einmal in dem kleinen Zimmer um. Das Licht der aufgehenden Sonne fiel schräg durch das Fenster und ich konnte die Umrisse und Konturen der Möbel und Gegenstände ausmachen. Obwohl ich nur kurze Zeit in diesem Zimmer verweilt hatte, war es mir auf eine seltsame Art ans Herz gewachsen.
»Kommst du?«,fragte Giardio. Als Antwort schloss ich die Tür und huschte ihm hinterher.
Wir gingen einen kurzen Flur entlang – alles aus Holz – und bogen dann nach links ab. Überall waren verschlossene Türen, und hinter einigen hörte man Gemurmel und manchmal sogar Schreie. Sie
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