Taquanta: Zwischen Traum und Wirklichkeit (German Edition)
gewesen. Der Fall, der häufiger eingetreten war, war der, dass mich jemand einlud und mein Vater mich sehr gerne gehen liess, da er es nicht mit ansehen konnte, wenn ich zu Hause war in den Ferien, denn er wusste, wie gerne ich verreiste.
Ich wartete immer noch auf eine Antwort. Erst jetzt bemerkte ich, wie unwohl er sich in seiner Haut zu fühlen schien. Ein unangenehmes Gefühl beschlich mich. Mein Vater hob den Kopf und sah mir in die Augen. Oh, dieser Blick. Ich kannte ihn einfach zu gut.
»Dad«, jammerte ich.
»Es tut mir leid, mein Schatz. Aber wir sind kurzfristig eingeladen worden. Henry Grüber ist ein guter Arbeitskollege. Und die Einladung geht an uns beide. Ausserdemkennst du ja ihre Tochter, sie ist in deiner Schule. Wie hiess sie noch gleich? Noemi?«
»Amélie.«
»Siehst du! Du weißt sogar mehr als ich! Es wird sicher ein schöner Tag.«
»Tag? Den ganzen Tag? Zwölf Stunden?«, rief ich entsetzt aus.
»Nein, nicht zwölf Stunden. Ich fahre um acht ins Büro, und wir treffen sie dann im Golfclub um halb eins. Mittagessen, Golfen. Das Übliche.«
»Und Emily?«, wollte ich wissen.
»Nun, es ist ja nicht so, dass du sie nie wiedersehen wirst. Vielleicht nächstes … ah nein, da sind wir bei den Feidrichs, aber … ein anderes Mal klappt es sicher. Ich habe schon mit deiner Tante telefoniert. Sie war sehr verständnisvoll. Und sie wird es Emily ausrichten.«
Tante Sophie war verständnisvoll. Ja und? Ihr hatte er ja schliesslich nicht abgesagt, aber ich hatte ja gar nichts mit ihr geplant. Nur mit Emily, und nun war auch das den Bach hinunter.
»Wenn das so ist, gute Nacht«, brachte ich zwischen angespannten Lippen hervor. Nur nicht ausrasten. Dann drehte ich mich noch einmal um.
»Ah ja, übrigens, ich komme morgen nicht mit.« Entgeistert sah er mich an. Ich hatte kaum je widersprochen, nicht bei solchen Dingen. Und hier stand ich nun schon auf dem ersten Treppenabsatz und lieferte mir mit ihm ein Blickemessen.
»Du kommst mit.«
»Das tu ich nicht.«
»Doch, das tust du.«
»Das ist nicht fair! Darf ich denn wirklich nicht …«
»Nein!« Da war es wieder. Der Fremde in seinen Augen. Das ›Nein‹. Einen Moment sah ich ihn einfach an. Wut wallte in mir auf.
»In diesem Fall, gute Nacht. Und übrigens: ich hasse dich!«, zischte ich, drehte mich auf dem Absatz meiner Ballerinas um und sprintete die Treppe hinauf.
»Elizabeth!«,rief mein Vater mir nach. Ich heisse Elizabeth Kendra Angel, aber die meisten Leute nennen mich einfach Lizzy. Mein Vater eingeschlossen. Und wenn er mich Elizabeth nannte, so konnte ich sicher sein, dass er stinksauer war. Oder verletzt.
Und trotz des flehenden Untertons in seiner Stimme drehte ich mich nicht wieder um. Sollte er doch einmal erfahren, wie es war, wenn jemand einfach wegging, obwohl man ihn anflehte zu bleiben. Denn ich selbst kannte dieses Gefühl nur allzu gut.
Ich stürmte in mein Zimmer und schlug die Tür geräuschvoll hinter mir zu. Zweimal. Dann schlüpfte ich in meinen Pyjama und ging ins Bett.
Obwohl der Schlaf auf sich warten liess, reagierte ich nicht, als mein Vater ins Zimmer spähte, um zu sehen, ob ich noch ansprechbar war. Ich war viel zu aufgebracht. Früher war alles anders. Vor vier Jahren war er der perfekte Vater gewesen, doch dann kam das Jahr. Das Jahr 2004. Das Jahr des Tsunamis, das Jahr, als er den Beruf wechselte, das Jahr, in dem Mama … Ich wollte nicht weiter denken und drehte mich ruckartig gegen die Wand. Krampfhaft versuchte ich mich abzulenken, denn ich wollte nicht in Tränen ausbrechen. Nicht jetzt, nicht heute.
Während meine Gedanken zu den Chemiehausaufgaben wanderten, fielen meine Augen zu, und ich sank in einen tiefen Schlaf, erschöpft davon, immer mit meinemVater zu diskutieren und keine eigenen Entscheidungen treffen zu können. Erschöpft davon, genau dieses Leben zu leben.
Der Tag mit den Grübers war noch anstrengender gewesen, als ich erwartet hatte. Viel lächeln, viel Geplauder, kleine Anekdoten von früher, an die ich mich nicht mehr erinnern konnte, und Golfstunden. Ich hasste Golf.
Wir waren gerade nach Hause gekommen, und als Erstes streifte ich mir eine Jeans über anstatt des steifen Rockes, den ich den ganzen Tag lang zu meinem Poloshirt getragen hatte. Meine Füsse schmerzten, und meine Schulter fühlte sich gelenklos an. Dass Sport Mord ist, stimmt spätestens seit der Erfindung von Golf.
Ausgelaugt setzte ich mich in meinen Sitzsack und las ein wenig in meinem
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