Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
schon ein paarmal ein fast auffälliges Interesse an dem Wohlergehen und Treiben der Albin bekundet. Natürlich hatten sich Iegi und Auril kennengelernt, damals, als Auril, Karnodrim und Moosbeere im Kampf gegen Drachen und Unwetter über den Wolkenbergen aus dem Flugschiff des Setten gestürzt und von einer Grenzstreife der Vogelmenschen aufgelesen worden waren. Und natürlich hatte ihr gemeinsames Aufbegehren im Rat von Airianis zum Ritt der Greifenreiter nach At Arthanoc geführt. Ganz zu schweigen davon, dass sie mit vereinten Kräften – und mit Karnos Hilfe – den Glutlanddrachen vor den Toren der Bastion des Hexers bezwungen hatten. Und trotzdem argwöhnte der Junge in schlaflosen Nächten, dass das Band, das zwischen seinen beiden Gefährten geknüpft worden war, nicht allein auf gemeinsam bestandenen Abenteuern beruhte.
Unbewusst fuhr sich Tarean mit dem Daumen über die Unterlippe. Mehr als alles andere wünschte er sich auf einmal, von hier fortgehen und Auril, seine Auril, wiedersehen zu können.
Er stand auf und streckte ächzend die vom Klettern müden Glieder. »Lass uns aufbrechen. Es liegt noch einiges an Rückweg vor mir, und der Tag schreitet voran.«
Iegi erhob sich ebenfalls. »Wenn du willst, ließe sich dieser Weg um einiges abkürzen.«
»Abkürzen?« Tarean blinzelte verwirrt.
»Vertraust du mir noch?« Sein Freund grinste und breitete Arme und Flügel weit aus.
»Oh. – Nun, heute zweifellos mehr als damals«, erwiderte Tarean in Erinnerung an ihren rasanten ersten gemeinsamen Flug vom Wachturm des Wallhorns hinab nach Dornhall, um die Burgbewohner vor einem Überfall der Grawls zu warnen. »Aber ich denke, ich nehme dennoch lieber den langen Weg nach Hause. Über die Nordseite wird mir der Abstieg leichter fallen.«
»Dann fliege ich voraus nach Airianis. Das erbärmliche Klammern von euch erdgebundenen Geschöpfen an die graue Brust des Berges ist mir ein Gräuel.«
Tarean lachte zur Antwort. »Verschwinde bloß, du Federvieh! Wir sehen uns heute Abend.«
Iegi nickte ihm zu, nahm Anlauf und warf sich dann mit einem schrillen Jagdschrei auf den Lippen in die Tiefe. Mit einem Schlag entfaltete er seine gewaltigen Flügel und segelte rasch ins Tal hinab.
Für einen Moment blickte Tarean seinem Freund noch nach, wie er in der Ferne kleiner wurde, dann machte er sich an den Abstieg.
2
DAS GREIFENRENNEN
Als Tarean am nächsten Morgen aufwachte und gähnend aus dem Fenster seines Turmzimmers im Westflügel der Himmelszitadelle blickte, sah er, dass in Airianis bereits emsiges Treiben herrschte. Überall waren Taijirin, gleich ob jung oder alt, damit beschäftigt, ihre runden Behausungen zu reinigen und zu schmücken, die – an der Felswand hängenden Nestern gleich – die helle Bergflanke zu Füßen des Jungen übersäten. Banner und Wimpel wurden an den hölzernen Plattformen befestigt, die terrassenartig den Häusern vorgelagert waren, und lange Bänder, an denen klingende Windspiele und farbige Laternen hingen, spannten sich von Dach zu Dach.
Schon seit einigen Tagen hatte eine erhöhte Betriebsamkeit von den am Inhraihar, dem Königsberg, lebenden Vogelmenschen Besitz ergriffen, und an diesem wolkenlosen Frühlingsmorgen, an dem die Luft schneidend klar durch Tareans Glieder fuhr, erreichte sie ihren Höhepunkt. Trotz der Zielstrebigkeit, mit der die Taijirin zu Werke gingen, wehte immer wieder Rufen und Lachen zu seinem Fenster herauf. Es lag eine Vorfreude über der Vogelmenschenstadt, der sich auch Tarean nicht entziehen konnte.
Der Grund hierfür war das anstehende Fest der Sturmweihe, ein, wie Iegi ihm erklärt hatte, jährlich wiederkehrender Feiertag anlässlich des ersten freien Fluges einer neuen Nistgemeinschaft junger Vogelmenschen. Um das rituelle – und sehr wörtlich zu verstehende – Loslassen des flügge gewordenen Nachwuchses hatte sich im Laufe der Jahrhunderte ein rauschendes Fest entwickelt, das mit verschiedenen sportlichen Wettkämpfen, Flugdarbietungen, natürlich Speis und Trank und viel Musik begangen wurde.
Das sicherlich mit am meisten Spannung erwartete Ereignis – neben der Sturmweihe selbst – war das große Greifenrennen. Seinem Streckenverlauf nach wurde es auch das Vier-Gipfel-Rennen genannt, und jeder Vogelmensch, der einen Greifen sein eigen nannte oder aber von einem Gönner ein Tier geliehen bekam, konnte daran teilnehmen. Das Rennen startete vor den Toren von Airianis und führte in einem etwa zwanzig Meilen weiten Kreis teils
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