Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
Auril und Bromm hatten das Heer des Hochkönigs nach Albernia begleitet. Tarean wäre unentschlossen alleine zurückgeblieben – Nein , verbesserte er sich, Moosbeere hätte mich nie verlassen! –, wenn nicht Iegi ihm, auch im Namen seines Vaters, das Angebot unterbreitet hätte, mit den Taijirin nach Airianis zu reiten und dort so lange ihr Gast zu sein, bis er sich entschieden habe, wohin ihn sein Weg führen solle.
Fast sechs Monde … So lange lebte er nun schon in den Wolkenbergen. Abgeschnitten von der Welt und ihren Geschehnissen saß er in den Hallen der Himmelszitadelle an der Tafel König Ieverins und gab sich an der Seite seines Freundes Iegi vor allem dem Verdrängen der Frage hin, was er mit seinem Leben wirklich anzufangen gedachte.
Schon bald nach seiner Ankunft war der Winter hereingebrochen, hatte die Berge rund um die Stadt der Taijirin unter einer meterdicken Schneedecke begraben und das Leben auf eine Handvoll gut beheizter Räume beschränkt. Die Vogelmenschen waren rasch in den notwendigen Trott zurückgefallen, der ein Überleben unter derart harschen Umweltbedingungen überhaupt erst möglich machte, und obwohl sich Tarean nach besten Kräften nützlich zu machen versucht hatte, war ihm mehr und mehr aufgegangen, dass er nicht hierher gehörte. Und das galt für Moosbeere noch mehr als für ihn.
Das Irrlicht war ihm die ganze Zeit treu geblieben. Beständiger als jeder andere seiner Gefährten hatte es an seiner Seite verweilt. Es war eine eigenartige Form der Liebe, die das zarte Geschöpf für ihn hegte. Tarean wusste nicht, was er getan hatte, um diese Empfindungen in Moosbeere zu wecken, aber rückblickend schien es ihm, als sei sie ihm bereits an dem Tag ihres Aufeinandertreffens in den Tiefen des Alten Walds verfallen. Zugegebenermaßen waren auch seine Gefühle für sie keineswegs rein freundschaftlicher Natur – spätestens seit jener sonderbaren Begegnung im Reich zwischen Traum und Wachen, während der ihm das Irrlicht als erwachsene und geradezu atemberaubend schöne Frau erschienen war. Sie hat mir bis heute nicht verraten, was in jener Nacht wirklich geschehen ist … Nur ein Traum? … Niemals.
In den letzten Wochen allerdings, derweil der Frühling mit Riesenschritten nahte und die Natur sich überall mit Macht ihre Bahn durch die vereiste Schneedecke brach, hatte ihre Beziehung auf schwer zu beschreibende Weise gelitten, und dies war nicht allein eine Spätfolge von Tareans kurzem, aber glühendem Bekenntnis zu Auril nach der Schlacht um At Arthanoc. Moosbeere gab sich zwar alle Mühe, es vor ihm zu verbergen, doch er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie die Wolkenberge am liebsten eher heute als morgen wieder verlassen hätte und nur seinetwegen blieb.
Es muss etwas passieren! , ermahnte sich der Junge.
Der Shraikhar zwang ihn aus seinen Gedanken zurück in die Wirklichkeit. Irgendwie war ihm bei der Einschätzung des Weges ein fataler Irrtum unterlaufen, denn während der letzten vierzig Schritt hinauf zum Gipfelplateau erhob sich die Felswand fast lotrecht in die Höhe.
Tarean warf einen Blick über die Schulter, doch als er sah, ein wie großer Teil der Wegstrecke bereits hinter ihm lag, schüttelte er den Kopf. Von unten hatte der Weg zwar anstrengend, aber keineswegs gefährlich ausgesehen. Rückblickend indes schien die Bergwand geradezu schwindelerregend steil abzufallen. Ein Umkehren kam jedoch nicht infrage. Ich bin auf dem Pfad, für den ich mich entschieden habe, zu weit vorgedrungen, um wieder zurückzugehen. Aber lief es auf diese simple Wahrheit am Ende nicht immer hinaus? Er holte tief Luft und machte sich tatkräftig an die letzte Etappe seines Aufstiegs.
Die Sonne stand mittlerweile hoch am Himmel und näherte sich dem mittäglichen Zenit. Tarean spürte, wie sie ihm mit heißen Fingern über den Rücken strich, und Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und zwischen den Schulterblättern, während er sich die Wand hinaufmühte. Für den Ungeübten mochte der Fels so gut wie unüberwindbar erscheinen, doch immer wieder fanden die Hände und Fußspitzen des Jungen kleine Mulden, Simse und Felsspalten, die ihm Halt boten.
So arbeitete er sich langsam, aber beständig vorwärts, die Augen immer nach oben gerichtet, niemals zurück. Der schlimmste Fehler, den ein Kletterer machen konnte, war, den bereits bewältigten Weg ermessen zu wollen. Denn erst dann wurde den meisten bewusst, wie hoch hinaus sie sich ohne jede Sicherung
Weitere Kostenlose Bücher