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Tarzan am Main

Tarzan am Main

Titel: Tarzan am Main Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Fußgängerzone entlang, ein großer Brunnen und eine Steinplastik mildern das architektonische Einerlei. Aber behoben ist das Problem Zeil damit nicht. Vermutlich ist die Strasse nicht zu retten; die baulichen Glanzlichter, die die Uniformität der Fassaden inzwischen auflockern, verschlimmern das Problem sogar, weil sie das Moment des baulichen Durcheinanders für das Auge verstärken. Ein Bau kann noch so aufregend / erstaunlich / interessant gemeint sein, aber wenn immerzu Menschen mit großen Plastiktüten aus diesem hervorkommen oder in diesem verschwinden, ist das nicht aufregend / erstaunlich / interessant, sondern lähmend / eintönig / ermüdend.
    Geschäfte für den sogenannten Normalbedarf des bürgerlichen Lebens – also Schuhmachereien, Eier-Butter-Milch-Läden, Wollgeschäfte, Schreibwarenläden, Zeitungskioske – haben sich aus dem inneren Kern der Stadt weitgehend zurückgezogen oder (wie soll man sagen?) sind dem Druck und der finanziellen Übermacht der Großanbieter gewichen. Stattdessen hat sich, wie in anderen Städten auch, eine Art Monokultur des schönen Scheins etabliert. Enorm zugenommen hat die Zahl der Modegeschäfte, Frisiersalons und Parfümerien. In allen Läden sieht man das gleiche Publikum: Viele Frauen, die mit ihrer Normalnatur nicht mehr zufrieden und um eine Nachbesserung besorgt sind. Sowohl die Frisiersalons als auch die Parfümerien erkennt man schon von weitem an ihren überhellen Interieurs. Sie sind bis in die letzte Ecke ausgefüllt von gleißendem, fast weißem Licht. Merkwürdig ist, dass das Personal in den Frisiersalons und in den Parfümerien dem Stilideal der Frauenpropaganda oft nicht entspricht. Die dort arbeitenden Frauen sind oft blasse, ungeschminkte, zurückgenommene weibliche Wesen. Sie tragen unauffällige schwarze Kostümchen, sind unaufdringlich, scheu und warten, bis sie angesprochen werden. Die Frauen, die in ihre Läden kommen, sind das genaue Gegenteil: Stark geschminkt, auffällige Frisur, werthaltige Kleidung, auf dem Arm häufig ein Hündchen oder eine Riesendogge im Schlepptau. Die Tiere sind harmlos, flößen aber Furcht ein, weil sie sich in der Überhelligkeit selbst fürchten. Auch die allerzahmsten haben gewisse Nachteile. Selbst gepflegte Hunde riechen. Ihre Besitzerinnen geben sich Mühe, die Tiere von der Harmlosigkeit des Raums zu überzeugen, aber es klappt nicht immer. In ihrer Nervosität fangen manche an zu bellen – und verschrecken die andere, die hundelose Kundschaft. Auch dann, wenn sie von ihren Frauchen extra mit Parfüm behandelt worden sind, haben sie oft starken Mundgeruch. Schweren Herzens hat sich eine große Parfümerie entschlossen, ein Schild in das Schaufenster zu stellen: Hunde bitte draußen bleiben. Manche Tierfreundin hat darauf mit Verstimmung reagiert – und den Laden gewechselt.

Wer sich vor Augen führen will , wie antigroßstädtisch, fast betulich selbst das Stadtgebiet Frankfurts ist, braucht sich nur die Straßen im Umfeld der Zeil anzuschauen, zum Beispiel die Töngesgasse oder die Stephanstraße, die dann in die Stiftstraße einmündet. Man staunt nicht schlecht, wie schlicht, bieder, provinzlerisch und beinahe leer sich diese Straßen präsentieren. In der Stephanstraße befindet sich zudem ein schöner kleiner Friedhof und die ebenfalls beschauliche Peterskirche – und das alles in unmittelbarer Nähe der monströsen Zeil. Man muss beinahe lachen, wenn man sich das Gefälle dieser drei Straßen bewusst macht. Ich lache dann doch nicht, weil mir wieder einfällt, dass eine Stadt nur dann menschlich ist, wenn sie ihren Bewohnern Gelegenheit gibt, sich über ihre Ansprüche lustig zu machen. Die Stephanstraße (bzw. die Stiftstraße) ist die ödere der beiden zeilnahen Straßen. Es gibt hier nur wenig Geschäfte, kaum Verkehr, kaum Fußgänger. Ein Kino, immerhin, hat sich halten können, so dass wenigstens abends der eine oder andere Passant gesichtet wird. Die Töngesgasse ist noch kleinstädtischer, dafür belebter, auch wenn sie gegenüber der Zeil keine Chance hat. Die Häuser hier sind überwiegend keine eigentlichen Geschäfts-, sondern Wohnhäuser. Nur in den Erdgeschossen befinden sich Geschäfte, oft auch solche, die man in der City nicht wirklich erwartet, zum Beispiel eine Samenhandlung, ein kleiner Lederwarenladen, ein Wollgeschäft – als wären wir noch oder wieder in den fünfziger Jahren. In gewisser Weise bewahrt die Straße tatsächlich die Atmosphäre der

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