Tarzan am Main
erlebt durch diese permanente Selbstbespiegelung ein halluziniertes Doublettenschicksal. Noch heute beschleicht mich Unbehagen, wenn ich durch Zufall in die Nähe einer Angestelltengruppe gerate. Obwohl ich anders gekleidet bin, peinigt mich schon das Outfit der Büroleute. Es hat sich für sie (zumindest in den großen Städten) eine Art Uniform der Vereinheitlichung herausgebildet. Die Herren tragen dunkle Anzüge, die Damen schwarze Kostümchen. Gegen zwölf Uhr schwärmen sie in großen Gruppen aus ihren Büros und bleiben auch während der Mittagspause zusammen. Nah beieinander stehen sie an den Tischchen der Bistros und Buffets, löffeln ihr Süppchen und reden – über das Büro.
Anfang der siebziger Jahre entschloß ich mich, einen sogenannten Angestelltenroman zu schreiben. Den Begriff »Angestelltenroman« gab es damals noch nicht. Ungefähr zur gleichen Zeit begann der Rowohlt Verlag eine Taschenbuchreihe mit dem Titel »Das neue Buch«. Das Lektorat nahm den Abschaffel -Roman an und brachte ihn 1977 auf den Markt. Zum Erstaunen des Verlags und des Autors wurde das Buch sehr gut rezensiert. Innerhalb kurzer Zeit erschienen fünf oder sechs Auflagen. Ich weiß heute nicht mehr, wer mich zuerst fragte, ob es eine Fortsetzung des Abschaffel -Romans gebe. Es gab keine, aber ich setzte mich hin und schrieb eine.
Der Typus des nur in seinen Kreisen bekannten Künstlers ist für Frankfurter Verhältnisse charakteristisch. Das mangelnde Selbstbewusstsein hängt damit zusammen, dass sich Frankfurt selbst als unterwertig eingeschätzt fühlt (im Vergleich zu München, Hamburg, Berlin) und in der Wahrnehmung der anderen gerne »aufrücken« möchte. Diese Aufgabe erfüllen auch die Frankfurter Groß-Preise, also Goethe-Preis, Adorno-Preis, Beckmann-Preis. Schon die Namen der Preise weisen den Weg zur Bedeutungsauffüllung: Schaut her, das sind unsere Hausgötter. Dass sich die Jurys der Preise zuweilen vertan haben, ist dabei nicht so wichtig. Hauptsache, der Anspruch wird deutlich. Fast selbstverständlich ist, dass ein örtlich tätiger Künstler in diesem Marketing kaum etwas zu suchen hat.
Obwohl sich die Statur von Robert Gernhardt als Dichter, Maler und Zeichner schon zu seinen Lebzeiten herumgesprochen hatte, war ein Goethe-Preis für ihn nicht möglich. Gernhardt ist seit etlichen Jahren tot; heute tut es vielen leid, dass der Preis an ihm vorbeigegangen ist. Natürlich hätte die Jury in einem zweifachen Sinn über ihren Schatten springen müssen. Denn Gernhardt war einerseits keine sogenannte repräsentative Erscheinung, er machte außerdem auch noch komische Gedichte. Und komische Gedichte waren im Horizont der Preisverleiher nicht gesellschaftsfähig, jedenfalls nicht in den siebziger, achtziger und auch noch nicht in den neunziger Jahren. In der den Faschismus aufarbeitenden Atmosphäre der sich ewig hinziehenden Nachkriegsjahre war ein komischer Dichter nicht unterzubringen. Als gäbe es in Deutschland in jeder Generation einen Dichter vom Rang eines Wilhelm Busch oder eines Christian Morgenstern! Dass heute das komische Gedicht im Literaturverständnis reintegriert ist, darf man Robert Gernhardt als Verdienst anrechnen. Wer will, kann in einem Gedicht von Gernhardt eine kaum verhüllte Selbstreflektion seiner Lage thematisiert finden. Das Gedicht heißt »Abendgebet«:
Lieber Gott, nimm es hin,
dass ich was Besond’res bin.
Und gib ruhig einmal zu,
dass ich klüger bin als du.
Drum preise künftig meinen Namen,
sonst setzt es etwas. Amen.
Frankfurts vielleicht heikelstes Kapitel ist die Zeil. Die Straße wird allgemein für das Zentrum der Stadt gehalten, weil hier tagtäglich abertausende von Menschen unterwegs sind und immer nur eines wollen: kaufen, kaufen, kaufen. Angeblich wird allein in dieser Straße ein Prozent des Bruttosozialprodukts der Bundesrepublik erwirtschaftet. Wenn nicht alles täuscht, geniert sich die Stadt dieser Straße inzwischen ein wenig. Die Schlichtheit des Anschaffens macht sie auch ein bisschen ordinär. Man gibt sich Mühe, das Fließband-Image der Straße zu mildern beziehungsweise aufzulockern. Noch vor wenigen Jahren war die Zeil eine Art Abstellplatz für ältere Kaufhäuser; ihre verregneten Fassaden sahen aus, als seien sie erst kürzlich von durchziehenden Hunden angepinkelt worden. So schlimm ist es heute nicht mehr. Im Gegenteil, auch billige Warenhäuser wollen heute schick aussehen. Eine Doppelreihe schattenspendender Bäume zieht sich die ganze
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