Taschenlehrbuch Biologie - Evolution - Oekologie
beschreibt. Das Aussterberisiko sinkt mit der Flächengröße der Insel (größere Populationen auf größeren Inseln haben ein geringeres Aussterberisiko), aber es steigt mit der Artenzahl der Insel. Dies führt zu einem langfristigen Gleichgewicht zwischen Immigration und Extinktion von Arten. Die Artenanzahl hängt demzufolge über die Effekte von Immigration und Aussterben von der Größe der Insel und von ihrer Isolation ab (Abb. 4. 13 ).
Abb. 4. 13 Inseltheorie. Nach der Inseltheorie beruht die Artenanzahl auf einer Insel (oder Biotopinsel) auf einem Gleichgewicht zwischen Aussterbe- und Immigrationsrate, das beim Schnittpunkt der Kurven erreicht wird. Immigrations- und Aussterberaten hängen von der Flächengröße der Insel (Arealeffekt) und von der Entfernung der Insel zum Festland (Isolationseffekt) ab. a Arealeffekt. Große Inseln bieten mehr Raum für einwandernde Arten als kleine Inseln, die Immigrationsrate sinkt mit der Anzahl bereits vorhandener Arten. Wegen knapper Ressourcen sterben auf kleinen Inseln die Arten eher aus als auf größeren Inseln, die Aussterberate steigt außerdem mit der Artenanzahl. b Isolationseffekt. Inseln in Festlandsnähe sind leichter erreichbar, die Immigrationsrate naher Inseln ist also höher als bei fernen Inseln, sie sinkt mit der Anzahl bereits vorhandener Arten. Die Aussterberate ist dagegen unabhängig von der Isolation einer Insel, sie steigt mit der Artenanzahl. Große Inseln in Festlandnähe können eine besonders hohe Artenanzahl erreichen; kleine, isolierte Inseln sind dagegen artenarm.
Die positiven Arealeffekte der Flächengröße einer Insel auf die Artenzahlen können auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden. Auf größeren Inseln existieren größere Populationen, in denen natürliche Populationsschwankungen weniger leicht zur kompletten Auslöschung führen ( Flächeneffekt , area per se effect). Gleichzeitig steigt die Immigrationsrate mit der Flächengröße von Inseln, da sich eine statistisch höhere Ankunftswahrscheinlichkeit von passiv migrierenden Individuen ergibt ( Sammeleffekt , passive sampling effect). Außerdem steigt die Heterogenität der Lebensräume mit zunehmender Größe der Inseln, wodurch die Koexistenz von mehr Arten ermöglicht wird ( Heterogenitätseffekt , habitat heterogeneity effect). Korrelative Feldstudien boten Unterstützung für alle drei Hypothesen ohne ein klares Bild zu zeichnen, da Flächen- und Heterogenitätseffekte nicht klar getrennt werden konnten. Erst ein klassischesExperiment von Daniel Simberloff zeigte, dass übereinstimmend mit den postulierten Flächeneffekten nach der experimentellen Verkleinerung von Mangroveninseln die Artenzahlen sanken, obwohl die Heterogenität des Lebensraumes relativ konstant blieb. Anschließende Experimente zeigten, dass nach der Vernichtung der Fauna auf Inseln die Artenzahlen durch Immigration geprägt werden. Im Gegensatz zu diesen Untersuchungen auf richtigen Inseln weisen Untersuchungen von Biotopinseln des Festlandes auf eine größere Bedeutung der Biotopheterogenität hin, da die umgebende Matrix der Agrarlandschaft die Ausbreitung nicht so stark limitiert wie das Meer. Sammeleffekte spielen bei den meisten Arten-Flächengrößen-Beziehungen eine Rolle und erzielen die größte Bedeutung beim Vergleich von geschachtelten Flächen auf dem Festland.
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Die Inseltheorie erlangte große Bedeutung für die Planung von Naturschutzgebieten auf dem Festland. Die stark begrenzte Gesamtfläche, die dem Naturschutz zur Verfügung steht, löste eine Debatte aus, ob eine große Schutzfläche oder viele kleine Schutzflächen (single large or several small, SLOSS) mit der gleichen Gesamtfläche günstiger wären. Verfechter der Inseltheorie befürworteten stark die Einrichtung großer Schutzflächen, um durch größere Populationen das Aussterberisiko aufgrund genetischer Verarmung zu minimieren. Kontrahenten in der Diskussion unterstrichen, dass viele kleine Schutzflächen besser die naturräumliche Heterogenität abbilden können und so mehr Arten unter Schutz stellen. Unabhängig von dieser Diskussion lässt die starke Zersiedelung und Nutzung der Landschaft in den Industriestaaten eine Realisierung von großen Schutzgebieten nicht zu. Biotopverbundsysteme bestehend aus Ausbreitungskorridoren (Hecken, Bachsäume, Saumbiotope) und Ausbreitungstrittsteinen (Feldgehölze und -gewässer) in diesen Landschaften dienen der Wiederbesiedlung der kleinen Naturschutzinseln nach
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