Taschenlehrbuch Biologie - Evolution - Oekologie
Zusammen ergeben die Effekte von Störungsfrequenz und Produktivität ein dreidimensional-buckelförmiges Modell der Artenzahlen: Die höchsten Artenzahlen sind bei mittlerer Störungsfrequenz und mittlerer Produktivität zu erwarten.
Abb. 4. 14 Störung und Produktivität. Die Farbstufen geben die Artenzahlen wieder: hell (geringste Artenzahl) bis dunkel (höchste Artenzahl). Die Artenzahlen sind niedrig bei hoher oder niedriger Produktivität und seltenen oder häufigen Störungen. Bei mittlerer Störungshäufigkeit und mittlerer Produktivität sind sie am höchsten.
Intrinsische zeitliche Variation der Biozönose kann durch chaotische Populationsdynamiken erzeugt werden. Gleichgewichtsmodelle der Konkurrenz setzen Populationsdichten im Gleichgewicht ohne zeitliche Veränderung voraus, wohingegen die Dichten vieler natürlicher Populationen starken Dichteschwankungen unterworfen sind. Diese oft chaotischen Dichteschwankungen können das Einstellen eines Konkurrenzgleichgewichts mit Konkurrenzausschluss verhindern.
Keystone-Prädation kann durch selektiven Konsum der konkurrenzstärksten Art den Konkurrenzausschluss der anderen Konkurrenten verhindern.
Robert Paine dokumentierte in seinen Arbeiten im Felslitoral den Keystone-Konsum eines Seesterns der Gattung Pisaster . Durch bevorzugten Konsum von Muscheln der Art Mytilus californianus verhindert der Seestern, dass die Muscheln zur Dominanz gelangen und durch gewonnene Konkurrenz um Raum andere Arten auschließen. Dadurch wird eine artenreiche Lebensgemeinschaft erhalten. Eine experimentelle Entfernung der Seesterne führt dagegen zum Verlust an Biodiversität durch Konkurrenzausschluss. Deshalb werden die Seesterne als Keystone-Arten der Lebensgemeinschaft bezeichnet. Nachfolgende Arbeiten haben ähnliche Keystone-Arten in anderen Ökosystemen nachgewiesen: Seeotter in makrophytischen Algenbeständen, herbivore Fische und Seeigel in Korallenriffen, Fische in Seen und Fließgewässern, Kaninchen, Gänse und Nagetiere in Wiesen. Generell ist der Effekt der Keystone-Arten aber spezifisch für bestimmte Biozönosen. Eine Replikation seiner Experimente mit Pisaster in einem anderen Felslitoral brachte Robert Paine zu der Aussage, dass es sich nur um einen weiteren Seestern handelte („just another starfish“). Die Ausweisung von Keystone-Arten ist deshalb immer bezogen auf bestimmte Biozönosen und kann nicht generalisiert werden.
4.2.5 Biodiversität und Ökosystemfunktion
Neben der Frage nach den Faktoren, die Biodiversität beeinflussen, steht gleichberechtigt die Frage nach der funktionellen Bedeutung von Biodiversität . Auf der einen Seite verlieren viele Ökosysteme Arten, ohne dass es zu einer Einschränkung der für sie charakteristischen Prozesse kommt. Auf der anderen Seite werden diese Prozesse oft durch ein komplexes Zusammenspiel vieler Arten getragen, sodass bei einem fortlaufenden Verlust an Biodiversität die Prozesse behindert werden müssen. Zahlreiche Untersuchungen haben den Zusammenhang zwischen Biodiversität und Ökosystemfunktion zum Thema. Bei einer komplementären Funktionalität der Arten hat jede Art eine in der Biozönose einzigartige funktionelle Bedeutung, und die Ökosystemfunktion steigt linear mit der Artenzahl an (Abb. 4. 15a , rote Linie). Bei Komplementarität wirkt sich der Verlust jeder Art gleichermaßen auf die Funktionalität des Ökosystems aus. Wenn die Funktionalität des Ökosystems von einer Schlüsselart gewährleistet wird, steigt die Ökosystemfunktion sprunghaft mit der Artenzahl an (Abb. 4. 15a , blaue Linie). Der Sprung in der Funktionalität wird durch die Präsenz bzw. den Verlust der Schlüsselart erzeugt, und nur der Verlust der Schlüsselart hat starke Konsequenzen für die Ökosystemfunktion. Bei größtenteils redundanter Funktionalität der Arten steigt die Ökosystemfunktion mit steigender Biodiversität zunächst steil an, um sich dann zu sättigen (Abb. 4. 15a , schwarze Linie). Bei Redundanz wirkt sich der Verlust an Arten zunächst kaum auf die Ökosystemfunktion aus, bevor es letztendlich zu einem starken Abfall der Funktionalität kommt. Bei idiosynkratischen Effekten der Arten auf die Ökosystemfunktion führen meist Wechselwirkungen zwischen den Arten zu schwer vorhersagbaren Sprüngen der Ökosystemfunktion beim Verlust an Arten (Abb. 4. 15a , grüne Linie).
In experimentell manipulierten Pflanzengemeinschaften geht eine reduzierte Artenzahl mit einem Verlust verschiedener
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