Taschenlehrbuch Biologie - Evolution - Oekologie
Art 1) in der Form c. Es ist sparsamer (widerspruchsärmer) anzunehmen, dass der letzte gemeinsame Vorfahr der Taxa A bis F (Art 2) das Merkmal in der Form c besaß und dieses Merkmal nur einmal, nämlich zwischen 4 und 6, zu cl umgewandelt wurde, als dass die Art 1 das Merkmal in der Form cl besaß und es mehrfach von cl zu c verändert wurde.
Abb. 8. 4 Kladogramm (aus Schmitt 1989).
Welcher von zwei Merkmalszuständen in zwei Gruppen von Taxa der ursprüngliche (plesiomorph) und welcher abgeleitet (apomorph) ist, d. h. die Lesrichtung einer Transformationsreihe, kann nicht den Merkmalen selbst entnommen werden. Es gibt keine Zustände, die von vornherein und verlässlich stets anzeigen, dass sie das Produkt einer Transformierung aus einem bestimmten anderen Zustand sind. Komplexe Merkmale können aus einfachen Merkmalen entstehen, sie können aber auch sekundär wieder einfacher werden. Das erschwert die Interpretation der Lesrichtung. Das heißt, jede Entscheidung über die Lesrichtung eines Merkmals ist prinzipiell vorläufig. Es kann sich jederzeit ergeben, dass sie revidiert werden muss.
Der einzig theoretisch saubere Weg, die Lesrichtung festzustellen, ist der Außengruppenvergleich (Method of Outgroup Comparison). Als Außengruppe bezeichnet man ein Taxon, das sicher nicht zu den untersuchten Taxa (der Innengruppe) gehört. Wenn ein fragliches Merkmal in der Innengruppe in zwei Ausprägungen a 1 und a 2 vorkommt und in der Außengruppe z. B. ebenfalls in der Ausprägung a 1 , dann liegt der Verdacht nahe, dass die betreffende Merkmalsausprägung a 1 keine Neuheit der Innengruppe darstellt. Die Ausprägung a 1 ist als plesiomorph zu betrachten. Der Ausdruck Außengruppe bezeichnet dabei lediglich die Funktion in einer phylogenetischen Analyse und nicht eine genealogische Beziehung. Als Außengruppe kann jedes Taxon verwendet werden, das ein zu bewertendes Merkmal in einem Zustand besitzt, der auch in der Innengruppe vorkommt. Auch ist es möglich und empfehlenswert, mehrere Taxa als Außengruppe in einer phylogenetischen Analyse zu verwenden, weil der Zustand in einem einzelnen Taxon möglicherweise eine (konvergente) Spezialanpassung ist, oder weil ein einzelnes Taxon nicht alle zu bewertenden Merkmale in einem der Zustände aus der Innengruppe aufweist. Außengruppe bedeutet also nicht Schwestergruppe, denn dann käme man sofort in einen unendlichen Regress: Um feststellen zu können, welches Taxon die Schwestergruppe zu einem gegebenen Taxon ist, benötigt man mindestens eine Synapomorphie für die beiden Taxa und muss dazu einen Außengruppenvergleich durchführen, für den wiederum die Schwestergruppe bekannt sein müsste usw.
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Die Frage der nächsten Verwandten der Menschen soll das Vorgehen beispielhaft verdeutlichen. Dass die Menschen zu den Primaten gehören, ist gut begründbar und wird hier nicht weiter ausgeführt. Zu den Primaten gehören neben dem Menschen die Halbaffen, Altweltaffen und Neuweltaffen. Die Vermutung liegt nahe, dass die Menschen innerhalb der Primaten ihre nächsten Verwandten unter den Altweltaffen und hier unter den Menschenaffen finden. Diese Vermutung muss aber, um wissenschaftlich haltbar zu sein, präzisiert und begründet werden. Einige Merkmale, die als Argumente in Frage kommen, werden im Folgenden durchgespielt. Geprüft wird die Synapomorphie der gemeinsamen Merkmale anhand des Außengruppenvergleiches .
Schwanzlosigkeit: Außer bei den Menschen fehlt ein Schwanz bei den Großen Menschenaffen (Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans), den Gibbons und einigenwenigen Arten von Makaken und sogenannten Halbaffen. Betrachtet man die Altweltaffen (mit Menschen, Menschenaffen und Meerkatzenartigen, also Meerkatzen, Paviane, Schlankaffen und ihre Nächstverwandten) als Innengruppe und die Neuweltaffen als Außengruppe, ergibt sich klar, dass Schwanzlosigkeit nur in der Innengruppe, Vorhandensein eines Schwanzes jedoch sowohl in der Innen- wie in der Außengruppe vorkommt. Schwanzlosigkeit ist daher wahrscheinlich innerhalb der Altweltaffen apomorph und könnte eine Synapomorphie der Menschenaffen und der Menschen sein.
Sitzschwielen: Alle Meerkatzenartigen und die Gibbons besitzen Sitzschwielen (Ischialkallositäten), nicht jedoch die Großen Menschenaffen und die Menschen. Menschen und Menschenaffen als Innengruppe und die übrigen Altweltaffen als Außengruppe lassen das Vorhandensein von Sitzschwielen für die Altweltaffen plesiomorph erscheinen und das Fehlen als
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