Taschenlehrbuch Biologie - Evolution - Oekologie
zu verschieden wären, um homolog sein zu können, sondern weil die Gottesanbeterin mit anderen Insekten, die keine Fangbeine haben (z. B. mit den Schaben) Merkmale gemeinsam hat, die sämtlich konvergent sein müssten, wenn die Fangbeine homolog wären. Entsprechend besitzen Fanghafte, Ameisenjungfern und Florfliegenetliche übereinstimmende Merkmale, die gegen die Homologie der Fangbeine sprechen, denn in den letzteren beiden Tiergruppen gibt es keine Fangbeine. Es führt zu weniger Widersprüchen, die Fangbeine von Gottesanbeterin und Fanghaft für konvergent zu erklären, das ist die sparsamste Erklärung (Abb. 8. 2 ).
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Phylogenetisches System: Ein System, das die Abfolge der Artspaltungsereignisse (die Kladogenese) eindeutig widerspiegelt.
Monophyletisches Taxon: Taxon, das eine Stammart und ihre sämtlichen Nachkommen enthält. Gemeinsame Merkmale: Synapomorphien, Beispiele: Insekten, Säugetiere.
Paraphyletisches Taxon: Taxon, das zwar nur Nachkommen einer einzigen Stammart enthält, aber nicht alle. Gemeinsame Merkmale: Symplesiomorphien, Beispiele: Reptilien (Vögel fehlen), Menschenaffen (Mensch fehlt).
Polyphyletisches Taxon: Taxon, das Nachkommen mehrerer, nicht näher verwandter Stammarten enthält. Gemeinsame Merkmale: Konvergenzen, Beispiele: Würmer, Algen.
Vorgehensweise bei der Rekonstruktion der Kladogenese: Merkmalsliste und Verbreitung in der Artengruppe, Homologie-Vermutung (Homologie-Indizien), Lesrichtung bestimmen (Apomorphien, Außengruppenvergleich), Parsimonie-Prinzip: sparsamste Erklärung (Synapomorphien).
Homologe Merkmale: Definition: gemeinsame Merkmale, die auf phylogenetischer Verwandtschaft beruhen. Identifizierung: Homologie-Indizien, Synapomorphien oder Symplesiomorphien, Begriff nur relativ verwendbar.
Empirische Homologie-Ermittlung: Jede Art von Übereinstimmung (z. B. übereinstimmende Lage im Gefüge, Übereinstimmung in der speziellen Qualität) kann Homologie indizieren. Komplexität ist kein Kriterium für Homologie, sondern erhöht die Verlässlichkeit einer Homologie-Vermutung.
Homoiologie: Parallelismus, konvergente Ähnlichkeit eines homologen Merkmals.
Homoplasien: Übereinstimmungen durch Konvergenzen, Transformations-Umkehr oder Reduktion (“falsche Synapomorphien“).
Lesrichtung : Polarität der Merkmale, Richtung der Merkmalsänderung.
Synapomorphie: Gemeinsames, im Vergleich zur Schwestergruppe abgeleitetes, homologes Merkmal, evolutive Neuheit, die von der Stammart an die Tochterart weitergegeben wurde, relative Bezeichnung.
Symplesiomorphie: Gemeinsames, im Vergleich zur Schwestergruppe ursprüngliches, homologes Merkmal, bereits von Vorfahren der Stammart übernommenes Merkmal, das in der Tochterart nicht verändert wurde. Symplesiomorphien sind Synapomorphien eines übergeordneten Taxon.
Autapomorphie: Evolutive Neuheit eines terminalen Taxon, Sondermerkmal eines Taxon.
Außengruppenvergleich: Sucht nach: Merkmalsformen, die nur in der Innengruppe vorkommen (mutmaßliche Synapomorphien). Merkmalsformen, die in der Innengruppe, aber auch in der Außengruppe vorkommen (mutmaßliche Symplesiomorphien).
Außengruppe: Taxon außerhalb der betrachteten Gruppe, die die zu analysierenden Merkmale aufweisen, (künstliche) Gruppierung für eine phylogenetische Analyse.
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8.3 Computergestützte Phylogenetik
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Die Anzahl der möglichen Verwandtschafts-Hypothesen steigt mit der Anzahl der fraglichen Taxa ganz enorm (schon bei 9 Taxa überschreitet die Zahl der möglichen Kladogramme die Millionengrenze). Daher ist eine vollständige Analyse sämtlicher denkbarer Verwandtschaftsbeziehungen selbst mithilfe schneller Rechner nur für verhältnismäßig überschaubare Datenmengen, d. h. Matrices aus Taxa und Merkmalen, möglich. Im allgemeinen werden sogenannte heuristische Suchen durchgeführt, das heißt Analysen mithilfe von Algorithmen, die nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit den sparsamsten Baum bzw. das sparsamste Kladogramm finden. „Sparsam“ bedeutet hier die Lösung mit den wenigsten anzunehmenden evolutiven Umwandlungsschritten.
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Um beurteilen zu können, wie verlässlich eine mit Computerhilfe erstellte Verwandtschaftshypothese ist, werden Kenngrößen errechnet, die angeben, wie viele Umwandlungsschritte unterstellt werden müssen ( Baumlänge ), in wie vielen Durchgängen einer zufällig modifizierten Analyse ein bestimmter interner Knoten gefunden wird ( Bootstrap , Jackknife ), oder wie viele zusätzliche Schritte
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