Taschenlehrbuch Biologie - Evolution - Oekologie
und rechte Hand) oder in hintereinanderliegenden Körpersegmenten (z. B. die Rippen, die Wirbelkörper) wurde der Begriff homonom geprägt. Homonome oder „seriell homologe“ Merkmale finden sich bevorzugt bei metamer gegliederten Organismen, z. B. in den verschiedenen Proglottiden von Bandwürmern oder in den verschiedenen Segmenten von Ringelwürmern. Allerdings sagen uns Vergleiche zwischen verschiedenen Körperabschnitten ein- und desselben Individuums (oder auch verschiedener Individueneiner Art) nichts über stammesgeschichtliche Verwandtschaft. Verantwortlich für die stufenweise Abwandlung homonomer Körperabschnitte sind sogenannte Homöobox-Gene ( Genetik ).
Die Übereinstimmung eines Gens oder DNA-Abschnitts in zwei oder mehr Organismen kann daher kommen, dass der letzte gemeinsame Vorfahr dieser Organismen dieses Gen bzw. diesen DNA-Abschnitt besaß und an seine Nachkommen vererbte. In diesem Fall nennt man die Übereinstimmung ortholog . Die Übereinstimmung kann aber auch durch horizontalen Gentransfer verursacht worden sein und wird dann xenolog genannt. Gene bzw. DNA-Abschnitte können innerhalb eines Organismus vervielfältigt (dupliziert) werden. Das Ergebnis sind zwei oder mehr paraloge Kopien. Nur orthologe genetische Einheiten sind phylogenetisch informativ. Sie von paralogen oder xenologen Alternativen zu unterscheiden ist in der Praxis oft schwierig.
8.2.2 Unsicherheiten in der Homologie-Bewertung
Homologe Merkmale können im weiteren Verlauf der Stammesentwicklung zunächst verändert und anschließend unter übereinstimmenden Selektionsbedingungen unabhängig voneinander wieder ähnlich werden. Solche konvergenten Ähnlichkeiten auf homologer Grundlage werden Homoiologien (Parallelismen) genannt (Abb. 8. 2 ). Ein Beispiel sind die Flügel der Fledermäuse und die der Vögel: Beide gehen auf die Tetrapoden-Vorderextremität ihres letztengemeinsamen Vorfahren zurück. Trotzdem lässt diese Homologie nicht darauf schließen, dass die Vögel und Fledermäuse eine gemeinsame flugfähige Stammart hätten. Die Flügeleigenschaften der (homologen) Vorderextremität entwickelten sich vielmehr konvergent .
Abb. 8. 2 Die Fangbeine von Gottesanbeterin und Fanghaft sind sich täuschend ähnlich. Trotzdem rühren sie nicht von einer gemeinsamen Stammart mit Fangbein her. Ein Vergleich weiterer Merkmale weist die Arten Verwandtschaftsgruppen zu, in denen die betrachteten Sondermerkmale fehlen. Es handelt sich um konvergente Weiterentwicklungen homologer Organe (Homoiologien): Die Vorderbeine von Mantis und Mantispa sind als Insektenbeine homolog, d. h. der letzte gemeinsame Vorfahr war ein beintragendes Insekt, als Fangbeine jedoch sind sie konvergent, d. h. die letzte gemeinsame Stammart hatte anders ausgebildete Vorderbeine, z. B. Schreitbeine. (Fotos von Ekkehard Wachmann, Berlin.)
Homologe Merkmale sind keine vollkommen identischen Merkmale, sondern allenfalls in einigen Untereinheiten der verglichenen Merkmale identisch, während andere sich unterscheiden. Vom letzten gemeinsamen Vorfahren übernommen – und damit homolog – sind nur die identischen Anteile. Wenn man davon spricht, dass ein Merkmal homolog sei, dann trifft man eine Entscheidung darüber, was dieses Merkmal ausmacht, man benennt seine spezifische Qualität. Vom variablen Rest sieht man ab und behauptet, verglichene Merkmale seien homolog, solange wir die spezifische Qualität noch erkennen können. Das heißt, eine Feststellung über Homologie ist sinnlos, wenn nicht gesagt wird, worin die spezifische Qualität besteht, bzw. „als was“ die Merkmale homolog sein sollen: Vogelflügel und Fledermausflügel sind „als Tetrapoden-Vorderextremität“ homolog, „als Flügel“ jedoch konvergent. Damit wird gesagt, dass die Anteile, die im Vogelflügel und im Fledermausflügel die Tetrapoden-Vorderextremität ausmachen, vom letzten gemeinsamen Vorfahren übernommen wurden, während die Flügeleigenschaften unabhängig erworben wurden.
Auch durch den Verlust bestimmter Merkmale können sich wenig verwandte Taxa ähnlich werden (sogenannte Negativgruppen ).
8.2.3 Feststellung der Lesrichtung
Homologe Merkmale kennzeichnen also eine Verwandtschaftsgruppe, sie sagen aber noch nichts darüber aus, ob diese Gruppe monophyletisch ist. Für solche Aussagen benötigt man verlässliche Hypothesen darüber, ob die homologen Merkmale relativ abgeleitet oder relativ ursprünglich sind, d. h. die Lesrichtung ( Polarität ) der
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