Tate Archer – Im Visier des Feindes: Band 1 (German Edition)
liefern.
Mit kühler Präzision flitzt sie um die Säule und zieht ein, zwei, drei Mal den Abzug. Es wirkt, als würde sie nach einem festen Plan handeln. Drei Agenten fallen, einer hinter einem Baum und zwei hinter den Säulen. Dennoch ist es nur ein kurzzeitiger Triumph, weil alle übrigen nun gleichzeitig schießen. Unter dem wilden Geballere muss meine Mutter sich auf den Boden werfen.
»Was zum Teufel tust du da?«, knurrt Charles. Als ich nach oben schaue, sehe ich, dass er aus dem Fenster der Wohnung auf mich herabblickt. »Du verschwendest ihr Opfer. Wenn sie stirbt und du dennoch geschnappt wirst, klebt ihr Blut an deinen Händen.«
Ein Schuss und der Punkt geht an ihn.
Der Schrei meiner Mutter reißt mich entzwei. Ich wende gerade rechtzeitig den Kopf, um sie noch fallen zu sehen; zwischen den Fingern, mit denen sie ihren linken Arm umklammert, rinnt Blut hervor. Doch nur eine Sekunde später reißt sie die Waffe mit der rechten Hand hoch und feuert sie, mit einem Ausdruck reiner Entschlossenheit, erneut ab.
Charles hat recht. Ich kann ihr nicht helfen. Das Einzige, was ich tun kann, ist das, worum sie mich gebeten hat: den Scanner von Race wegzubringen. Ich beiße die Zähne zusammen und stoße mich vom Boden ab, springe über das niedrige Dach und rutsche an der anderen Seite runter. Mein Griff ans Abflussrohr verhindert gerade noch, dass ich falle, aber das Rohr wackelt und bricht in meiner Hand ab. Mir bleibt nur der Bruchteil einer Sekunde, um zu entscheiden, wie ich runterkomme. Ich stoße mich vom Gebäude ab und schleudere meinen Körper durch die Luft auf den riesigen roten Geländewagen unter mir. Sein Dach ist beinahe zwei Meter vom Boden entfernt. Immer noch besser, als auf dem Asphalt unten aufzuschlagen.
Durch meine harte Landung auf Knien und Ellbogen, halb auf dem Dach, zerbirst die Windschutzscheibe. Der Aufprall raubt mir den Atem. Ich fühle mich so schutzlos. Ich rutsche von dem Geländewagen runter und krieche zwischen ihn und einen Kleinwagen, wo ich versuche, mich zu orientieren und Luft in meine Lungen zu bekommen. Unser Wagen steht auf der anderen Seite des Parkplatzes. Ich muss nur da hinkommen. Nachdem ich mich keuchend aufgerappelt habe, stürme ich darauf zu.
Ich zwinge meine Beine, weiter auf den Boden zu stampfen, zwinge meine Arme, weiter zu pumpen, zwinge das Bild meiner blutenden und verletzten Mutter, aus meinem Hirn zu verschwinden. Die Schießerei ist noch immer im Gange, also muss sie noch am Leben sein, muss noch kämpfen. Das treibt mich an. Die nichtssagende graue Limousine ist neben dem Gartenzaun geparkt, und ich ziehe die Schlüssel aus meiner Tasche, während ich darauf zurenne. Dann werfe ich die Tasche auf den Sitz und will gerade einsteigen, als ich Schuhe auf Steinen knirschen höre.
Mr Lamb steht auf der hohen Gartenmauer, genau vor meinem Auto.
VIERUNDZWANZIG
Im Schein der Deckenleuchten sehe ich, dass Lamb einen dunklen Anzug mit schwarzer Krawatte trägt. Er sieht aus, als wäre er heute ein ausgewachsener Agent, ein Werkzeug der Regierung statt nur ein Werkzeug.
Doch selbst von hier aus kann ich den braunen Fleck auf seinem Kragen sehen.
Er streckt die Hände vor sich aus. Seine Waffe steckt in einem Pistolenhalfter an seiner Seite. »Tate. Wir können das, was passiert, aufhalten.« Er neigt den Kopf in Richtung des Rasens. »Es kann auf der Stelle aufhören.«
In mir ist nichts außer Kälte. Ich stelle mir vor, dass Christina genau das gefühlt hat, als sie zu sehr bedrängt wurde, keine Angst, keinen Hass, nichts außer schlichter, eisiger Wut. Meine Stimme ist gleichmäßig, als ich sage: »Wieso sollten Sie das hier zu einem kooperativen Spiel machen, Mr Lamb? Die bisherige Strategie war es doch, mich zu erschießen, um an den Scanner zu kommen.«
Kichernd entblößt er seine Zahnlücke. »Du warst immer mein bester Schüler. Und du bist ein guter Junge. Gib mir das Gerät, und wir reden darüber, ohne uns eine Schießerei im Hintergrund anzuhören.«
»Wie haben Sie uns gefunden?« Ich muss wissen, ob dieses an den Rollstuhl gefesselte Arschloch uns verraten hat.
Lamb zieht eine Grimasse. »Charles’ jüngste Aktivitäten sind nicht so geheim gewesen, wie er denkt.«
Die Schießerei auf dem Rasen lässt nach und hört mit einem letzten schwachen Bersten auf. Mein Magen verwandelt sich in Eis.
»Okay, Sie haben gewonnen!«, rufe ich. »Warten Sie eine Sekunde.«
Die Lampe reflektiert in meiner Windschutzscheibe; das sehe ich an
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