Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tatjana

Tatjana

Titel: Tatjana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tathana Cruz Smith
Vom Netzwerk:
Tür.
    Anja ließ sich in den Sessel fallen. Was hatte sie von Arkadi erwartet? Man konnte ihn nur bis zu einem gewissen Grad bedrängen. Sie lauschte dem Summen der Fliegen an der Fensterscheibe, starrte mit leerem Blick auf die Jazzplatten am Boden, öffnete ein Pillendöschen für eine Handvoll Aspirin, die sie zerkaute und schluckte. Dann hob sie ihren Rock an und betrachtete das Zigarettenbrandmal auf der Innenseite ihres Oberschenkels.

24
    A rkadi mietete einen Lada, eine Blechbüchse im Vergleich zu dem Zil, und fuhr zu der Sandbank, auf der er Wowa und seine Schwestern nach Bernstein hatte suchen sehen. Wowa wartete, wieder barfuß, bereit, ins Wasser zu waten oder um sein Leben zu laufen. Als Arkadi ihn fragte, wo er wohne, deutete Wowa auf einen halb unter einer Düne begrabenen Schuppen.
    »Nachts stöhnt er. Wir haben ihn mit Balken abgestützt. Irgendwann wird er zusammenbrechen, aber bis dahin gehört er uns allein.« Er warf Arkadi einen Seitenblick zu. »Sie hatten einen Zusammenstoß mit Piggy.«
    »Der Mann mit dem Metzgerwagen? Der ist ziemlich beängstigend.«
    »Ja. Aber niemand wird mir glauben.«
    »Versuch’s mit mir.«
    Wowa ließ den Blick ständig über den Strand schweifen, die Gewohnheit eines Spähers. Er hatte die Visitenkarte gefunden, die Arkadi in Joseph Bonnafos’ Fahrradschuh gesteckt hatte, und er hatte etwas zu erzählen. Oder wohl eher zu verkaufen, dachte Arkadi.
    »Sind Sie von der Polizei?«
    »In Moskau, hier nicht.«
    »Weil die Polizei alles nur klauen wird, was ich habe.«
    Dafür ist sie bekannt, dachte Arkadi. Er sah Luftlöcher im Sand auftauchen, als das Wasser zurückwich, Zeichen einer unsichtbaren Welt.
    »Was mich betrifft, ist das eine private Angelegenheit, Wowa.«
    »Für mich auch.«
    »Wie heißen deine Schwestern?«
    »Ljuba und Lena. Ljuba ist zehn. Lena ist acht.«
    »Am Telefon hast du gesagt, du hättest ein Fahrrad.«
    »Ein besonderes Fahrrad. Schwarz mit einer Katze.«
    Der ständige Wind formte den Sand und blies Wowa das Haar in die Stirn. Unwillkürlich fragte sich Arkadi, wie es wohl wäre, in einem so unerbittlichen Element zu leben.
    »Hast du das Fahrrad schon jemandem gezeigt?«, fragte Arkadi.
    »Ich hab den Männern im Fahrradladen davon erzählt.«
    »Wie viel haben sie dir geboten?«
    »Fünfzig Dollar.«
    »Das ist eine Menge.« Vielleicht ein Hundertstel vom Wert eines Pantera. »Ungesehen?«
    »Ich kenne diese Kerle, die behalten das Geld und das Rad.«
    »Das stimmt.«
    Wowa ging in einem engen Kreis herum.
    »Gibt’s da noch was?«, fragte Arkadi.
    »Piggy.«
    »Was ist mit ihm?«
    »Wir haben gesehen, wie Piggy den Radfahrer ermordet hat. Wir haben von den Bäumen aus zugeschaut.«
    Die meisten Augenzeugen, jung oder alt, versuchten die Heftigkeit und das Entsetzen eines Mordes wieder aufleben zu lassen, als würden sie in einem Malbuch über die Umrisse hinausmalen. Wowa blieb kühl und nüchtern. Der Radfahrer hatte noch gelebt, als Piggy ihn in den Metzgerwagen warf. Kurz hatten Füße gegen die Innenseite des Wagens getrommelt, dann ein Schuss. Piggy stieg aus und durchwühlte das Trikot des Radfahrers, wurde immer frustrierter und warf es schließlich beiseite.
    »Hat er dich gesehen?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Warum ist er dann hinter dir her?«
    »Wir haben das Fahrrad genommen.«
    Das veränderte die Lage. »Ihr habt Piggy das Rad gestohlen?«
    »Ja.«
    »Weiß er das?«
    »In etwa.«
    »In etwa?«
    »Er hat Ljuba mit dem Helm gesehen und versucht, sie zu überfahren, aber er konnte die Dünen nicht hinauffahren.«
    »Wo sind eure Eltern?«
    »Sie kommen zurück.« Das klang weniger nach Prahlerei als nach einem Wunsch.
    »Was ist mit euch? Wer kümmert sich um dich und deine Schwestern?«
    »Unsere Großmutter. Sie wohnt nahe bei der Stadt.«
    »Gibt sie euch zu essen?«
    »Wir kommen zurecht.«
    »Wie ist dein voller Name?« Wowa war die Abkürzung für Wladimir.
    Wowa blieb stumm. Keine Eltern, kein Nachname.
    »Na gut«, sagte Arkadi. »Was hast du außer dem Fahrrad und dem Helm noch genommen?«
    »Nur ein Notizbuch, das ich im Gras gefunden hab. Es war voll mit Blödsinn.«
    »Warum hast du es dann genommen?«
    »Wir haben auch eine Karte mit einer Handynummer gefunden. Wenn Leute eine Handynummer auf etwas schreiben, wollen sie es zurück, stimmt’s?«
    »Das ist schlau.«
    »Und die Frau, die abnahm, war nett. Sie ist gleich gekommen.«
    »Wie sah sie aus?«
    »Ziemlich gescheit.«
    »Hat sie gesagt, wie sie

Weitere Kostenlose Bücher