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Tatjana

Tatjana

Titel: Tatjana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Cruz Smith
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Kapitalismus so lange brauchte, um nach Russland zu kommen. Niemand erinnerte sich an ein dünnes Mädchen mit einer weißen Katze.
    Für den Fall, dass Tatjanas Leiche verlegt worden war, suchte Arkadi verschiedene Leichenschauhäuser ab, rollte die Verstorbenen heraus, überprüfte das Schild an ihrem Zeh und das Aussehen, was allgemein nicht gut war. In Moskau gab es vierzehn Leichenschauhäuser, manche so sauber wie eine Modellküche, andere die reinsten Schlachthöfe mit Karren voll blutiger Sägen und Meißel. Arkadi versank in eine Art Dämmerzustand, sah alles mit kaltem, professionellem Blick, war da und nicht da.
    Schließlich fand er sich in einem Trauerraum wieder, mit ein paar Klappstühlen und künstlichen Lilien in einer Vase. Eine Leiche war aufgebahrt, ein Mann in der Uniform eines Armeegenerals. Seine Uniform hatte noch dieselbe Größe, doch der General war geschrumpft. Sein Gesicht, fahl und spitz, war fast verborgen zwischen der Mütze und einer Brust voller Ehrungen: Leninorden, Medaillen für die Feldzüge von Stalingrad und Bessarabien, ein Ordensband für den Fall von Berlin. Sein einziger Trauergast war ein junges Mädchen, das selbstvergessen seinem iPod lauschte, blind gegenüber dem Tod, wie es wahrscheinlich sein sollte, dachte Arkadi.
    Als Arkadi den Fluss beim Kreml-Pier überquerte, entdeckte er Grischa Grigorenkos Superjacht, die Natalja Gontscharowa, vor Anker mitten im Fluss. Die Natalja war weiß wie ein Schwan, ein Schiff, das Neid und Ehrgeiz weckte, mit drei Decks, rundum laufenden Fenstern, einem Sonnendeck, Tanzfläche und Jetskis, die am Heck festgemacht waren. Gestalten bewegten sich, taten das, was die Crew auf einer Superjacht so tat, polierten Messing, stellten das Radar ein, beförderten Passagiere. Über allem hing eine gewisse Unentschiedenheit. Der König war tot, und der neue König musste erst noch gesalbt werden.
    Manchmal war es schwer zu beurteilen, wo Verbrechen endete und Bestrafung begann. Die Milizdirektion befand sich in einem Stadthaus an der Petrowka-Straße, mit einer Büste von Dserschinski davor, dem verschlagenen Begründer des revolutionären Terrors, der über ein Beet von Petunien wachte. In den berauschenden Tagen der Demokratie war dieses Symbol des Terrors vom Sockel gestürzt worden. Nach Jahren im Exil war er auf sein Podest zurückgekehrt.
    Hinter der Direktion erstreckte sich ein Komplex, in dem Hafträume, Labors und die Ballistik untergebracht waren. Blau-weiße Polizeiwagen, hauptsächlich Skodas und Fords, parkten kreuz und quer durcheinander. Vor dem Büro der Staatsanwaltschaft standen Zeugen und rauchten. Im Kellergeschoss auf der anderen Straßenseite befand sich die Höhle, ein von beiden Seiten des Gesetzes frequentiertes Restaurant, zu dem man vom Gerichtssaal rasch auf einen Drink, eine Zigarette, ein Wort mit einem Anwalt oder Komplizen hinüberschlüpfen konnte. Von Zeit zu Zeit bemerkten Gäste die sich auftürmenden Gewitterwolken und gingen ins Restaurant, in dem die Luft blau vor Rauch war. Signierte Fotos von Hockey- und Fußballstars, Schnappschüsse von Partys, für die das Restaurant Speisen und Getränke geliefert hatte, und Postkarten von Bauchtänzerinnen schmückten die Wände. Kebab wurde gegrillt, und im Hintergrund lief nahöstliche Musik. Viktor war noch nicht da, aber Arkadi entdeckte durch den Qualm Anja, die an einem Ecktisch mit Alexi Grigorenko Champagner trank. Arkadi hätte gewettet, dass Grischas Sohn nicht eine Woche in Moskau überleben würde, und hier saß er praktisch wie ein Promi, der mit der Presse auf Du und Du ist. Eigentlich hätte Arkadi draußen auf Viktor warten sollen, nur um dem Ganzen aus dem Weg zu gehen, doch er fühlte sich unwiderstehlich zu Alexis Tisch hingezogen, und als ein Leibwächter ihm den Weg versperren wollte, winkte Alexi ihn fort.
    »Ist schon in Ordnung«, sagte er. »Ich kenne Ermittler Renko. Er war sogar bei der Beerdigung meines Vaters.«
    »Was gibt es denn heute zu feiern?«, fragte Arkadi.
    »Zwei von Alexis Freunden sind von einer Mordanklage freigesprochen worden«, antwortete Anja.
    »Weil sie unschuldig waren, oder weil der Richter gekauft war?«
    »Der Richter entschied, die Beweise reichten nicht aus, um sie noch länger festzuhalten«, sagte Alexi.
    »Richter können teuer sein«, meinte Arkadi zu Anja gewandt. »Man sollte im Gerichtssaal einen Geldautomaten aufstellen und den Vermittler ausschalten.«
    Alexi schenkte Arkadi ein Lächeln. »Das wäre dann

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