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Tatjana

Tatjana

Titel: Tatjana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Cruz Smith
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ein.
    »Diene ich ihnen als Werkzeug? Sie haben mich gebeten, Teil des Verhandlungsteams zu sein. Wir gehen mit Nahrungsmitteln und Botschaften ins Theater, wir kommen mit freigelassenen Geiseln heraus, hauptsächlich Frauen, Kinder und Muslime. Bisher wurden zweihundert freigelassen, was schätzungsweise noch siebenhundert Geiseln in den Händen tschetschenischer Rebellen bedeutet. Während der Aufführung eines Musicals tauchten die Rebellen so plötzlich auf der Bühne auf, dass die Zuschauer dachten, es gehöre zum Stück. Die Leiche im Gang bringt uns in die Realität zurück. Ich nehme an, dass ich eine der wenigen Russen bin, denen die Tschetschenen einigermaßen vertrauen, aber ihre Forderungen sind unmöglich. Und für einen Vermittler bei einer Geiselnahme ist es schwierig, mit jemandem zu verhandeln, der sterben will.
    Zehn Stunden Belagerung. Für die Geiseln muss es sein, als wären sie Passagiere eines Flugzeugs, das zu einem unbekannten Zielort fliegt. Der Orchestergraben wird als Toilette benutzt. Für Heldentum ist es nicht der richtige Zeitpunkt. Ein Mann brach durch die Polizeiabsperrung, um seinen Sohn herauszuholen. Eine mutige Seele. Die Rebellen haben seine Leiche wie Müll hinausgeworfen.«
    Draußen knallte der Gewittersturm eine Tür zu, wie das Echo eines vor langer Zeit abgegebenen Schusses.
    »Achtundzwanzig Stunden. Die Schwarzen Witwen tragen schwarze Burkas mit Gesichtsschleier. Die Burkas sind weit geschnitten, um die Gürtel mit den Sprengsätzen an ihren Taillen zu verbergen. Ich mache mir Gedanken über diese jungen Frauen und ihre Selbstmordmission. Stimmt, sie haben ihre Ehemänner verloren, aber der größte Teil ihres Lebens liegt noch vor ihnen. Ich glaube, jede von ihnen muss in der lähmenden Enge des Sarges ihres Mannes gelebt haben, bis ihr eigener Tod sie erlösen wird. Ich kenne das Gefühl.«
    Arkadi hörte Stimmen und Schritte im Flur, als Anja in ihre Wohnung schlüpfte. Es war drei Uhr morgens, eine von Schlaflosen geteilte Stunde.
    »Es ist vorbei«, sagte Tatjana. »Nach siebenundfünfzig Stunden der Belagerung haben die Spezialtruppen ein Schlafgas in das Belüftungssystem eingeleitet, und als russische Soldaten dreißig Minuten später das Theater stürmten, gab es so gut wie keinen Widerstand. Fünfzig tschetschenische Rebellen – einschließlich der Schwarzen Witwen – wurden dort hingerichtet, wo sie gefunden wurden. Siebenhundert Geiseln wurden befreit, und nicht ein einziger unserer Soldaten kam bei dem Angriff zu Schaden, der eindeutig ein Triumph im Krieg gegen den Terrorismus hätte sein sollen. Doch das Gas tötete auch einhundertdreißig Geiseln. Familien, die keine Luft mehr bekamen, sitzen immer noch auf ihren Theaterplätzen. Hunderte mehr müssen ins Krankenhaus. Es gibt ein Gegenmittel, aber uns wurde mitgeteilt, die Zusammensetzung des Gases sei ein Staatsgeheimnis und könne nicht enthüllt werden. Der Mann von der Spezialeinheit sagt: ›Wo gehobelt wird, fallen Späne.‹«
    Der Rest der Kassette war so undeutlich, dass sie praktisch leer war, ein Herzschlag im Dunkeln.

8
    A rkadi kniff die Augen gegen das Morgenlicht zusammen. Es war so grell, dass die Krümel auf dem Küchentisch Schatten warfen. Anja trug eine dunkle Brille, die Fingernägel knallrot lackiert, das schwarze Haar auf Hochglanz gebürstet. Unsicherheit lag in der Luft. Sie hatte den Abend und die halbe Nacht mit Alexi verbracht, und Arkadi wusste nicht, ob er wütend sein oder Gleichgültigkeit vortäuschen sollte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie am Morgen danach auf seiner Schwelle auftauchen würde, frisch wie der junge Tag, obwohl sie seinem Blick ein bisschen zu lange standhielt und sich ihre Zigarette mit etwas zu hastigen Bewegungen anzündete.
    »Trink einen Kaffee dazu.« Er schenkte ihr eine Tasse ein. »Du warst lange aus.«
    »Alexi hat mich in einen Klub mitgenommen.«
    »Hat bestimmt Spaß gemacht.«
    »Er sagt, du seist eifersüchtig.«
    »Hat er mir auch gesagt.« Da es jetzt nichts mehr zu sagen gab, das nicht eifersüchtig geklungen hätte, stürzte er sich kopfüber hinein. »Wie läuft es mit dem Schreiben?«
    »Ich bin immer noch bei der Recherche.«
    »Mit Alexi?«
    »Was hast du gegen ihn?«
    »Nichts, außer dass er die geschniegelte Version eines echten Mafiabosses ist. Jemand wird ihm demnächst eine Kugel in seinen hohlen Kopf jagen.« Das klang nicht fair, dachte er. »Ich hoffe nur, dass du dabei nicht im Weg stehst.« Was nicht viel

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