Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tatjana

Tatjana

Titel: Tatjana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Cruz Smith
Vom Netzwerk:
Gewirbel. Botticelli mit einem Strandtuch. Wie ich hörte, waren Sie bei Grischa Grigorenkos Trauergottesdienst.«
    »Ja.«
    »Das war vor der Demonstration für Tatjana Petrowna.«
    »Ein hektischer Tag.«
    »An dem ich Sie gerettet habe, wissen Sie noch?«
    »Ich weiß, und ich danke Ihnen erneut.«
    Chinesische Touristen strömten in die Kirche. Männer und Frauen, alle mit der gleichen Begeisterung, und alle trugen die gleichen Knautschhüte.
    »Ist die Leiche wieder aufgetaucht?«, fragte Maxim.
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Obolenski hat angerufen und mich gefragt, ob ich ein Gedicht über die Polizei und die Demonstration schreiben könnte. Weil ich dort war, an Ort und Stelle. Ein glücklicher Zufall, könnte man sagen.«
    »Für seine Zeitschrift?«
    »Für eine Sonderausgabe von Jetzt über Tatjana Petrowna. Wie ich hörte, wird Ihre Freundin Anja einen Artikel beisteuern, der auf den von Tatjana zusammengestellten Notizen beruht.«
    »Wem hat Obolenski noch davon erzählt?«
    »Niemandem. Was steht in den Notizen?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Aber Sie haben sie gesehen.«
    »Nur für einen Moment. Und selbst wenn ich es wüsste, warum sollte ich es Ihnen erzählen?«
    »Sie sind mir was schuldig.«
    »Welches Interesse könnten Sie denn an Tatjanas Notizen haben?«
    »Ich bin an allem interessiert, was Tatjana betrifft.«
    »Wieso?«
    »Weil ich sie einmal geliebt habe.«
    Der Zil war veraltet, aber er hatte Stil. Ein silbernes Chassis, überladen mit Chrom, viel Chrom. Doppelscheinwerfer, die auf Wachsamkeit deuteten, Lederpolsterung, die Bequemlichkeit bot, Heckflossen, die Geschwindigkeit versprachen. Das Drucktastengetriebe verlieh ihm einen futuristischen Touch.
    »Insgesamt wurden 1958 nur zehn Zils gebaut. Natürlich säuft er Benzin wie ein Alkoholiker, doch ein Mann, der sich das Vergnügen durch Schuldgefühle verderben lässt, ist das Nadelkissen des Schicksals. Na los, Sie fahren.«
    Welch seltenes Erlebnis! Als Arkadi sich in den Verkehr auf dem Boulevardring einfädelte, wichen andere Autos – Mercedes, Porsche und vor allem Ladas – zur Seite.
    »Mit so einem Auto schindet man wirklich Eindruck«, sagte Arkadi.
    »Das ist die Idee dahinter.«
    Außerdem bot der Zil Ungestörtheit. Bei geschlossenen Fenstern hörte Arkadi nur das Flüstern der Klimaanlage.
    »Sie und Tatjana? Nehmen Sie’s mir nicht übel, aber das kommt mir angesichts der Persönlichkeiten doch ziemlich unpassend vor. Ganz abgesehen davon, dass Sie dreißig Jahre älter sind.«
    »Ich weiß. Niemand weiß das besser als ich.«
    »Wo?«
    »Sotschi. Beim Schwarzmeer-Kulturfestival. Ich habe Lesungen gehalten. Tatjana war eine Studentin, die Urlaub mit Freunden machte. Als die früher abreisten, blieb sie. Ein paar bekiffte Kerle wollten über sie herfallen. Die habe ich verjagt. Dann habe ich ihr einen Drink spendiert, sie hat mir einen spendiert, und eins führte zum anderen. Als das Festival zu Ende ging, hatten wir uns vollkommen ineinander verliebt. Für immer.
    In Moskau änderte sich alles. Jeder brauchte sie. Tatjana hat sich für alles Mögliche eingesetzt. Palästinenser, Afrikaner, Kubaner. Russen auch, wir dürfen die Reformen in Russland nicht vergessen. Ich ging unter, und sie war in ihrem Element. Wir wussten es beide. Am Ende hat sie wohl nicht mal gemerkt, dass ich fort war. Wie ein Philosoph einmal sagte: ›Alter schützt vor Torheit nicht‹.«
    Sie fuhren an den Kunstgalerien und Blumenläden auf dem Boulevardring vorbei. Maxim drehte eine Zigarette. Arkadi lehnte ab. Der Dichter erinnerte Arkadi immer stärker an einen Trapper, der seine Fallen überprüft.
    »Was wollen Sie mit den Notizen? Glauben Sie, dass Sie darin vorkommen? Klingt, als hätten Tatjana und Sie sich seit Jahren nicht mehr gesehen. Warum sollte sie jetzt über Sie schreiben?«
    »Stimmt, es waren wirklich Jahre, aber dann bin ich ihr letzten Monat über den Weg gelaufen. Und danach noch ein paarmal. Könnte durchaus sein, dass ich erwähnt werde.«
    »Und selbst wenn, was stört Sie daran?«
    »Persönliche Gründe.«
    »Das reicht mir nicht.«
    »Na gut. Ich soll in Amerika einen Preis bekommen. Für mein Lebenswerk.«
    »Was bedeutet das?«
    »Grundsätzlich, dass man noch am Leben ist. Die Toten werden nicht nominiert. Die Maßstäbe in den Vereinigten Staaten sind niedrig.«
    »Warum wollen Sie ihn dann?«
    »Der Preis ist mit Geld dotiert.«
    »Trotzdem.«
    »Fünfzigtausend Dollar.«
    »Ach so.«
    »Wenn die Amerikaner

Weitere Kostenlose Bücher