Tatjana
hören, dass ich irgendwie in einen Mordfall verwickelt bin, kann ich mir den Preis abschminken.«
»Sie sollten mit Obolenski sprechen. Er ist derjenige mit den Notizen.«
»Obolenski? Da lachen ja die Hühner. Nein, ich rede von Ihrer Freundin Anja. Soviel ich weiß, hat sie die Notizen. Sie wird sie Ihnen zeigen.«
»Das bezweifle ich. Ich weiß nicht mal, ob sie noch mit mir spricht.«
»Ich habe Sie beide zusammen gesehen. Sie wurde dazu geboren, mit Ihnen zu sprechen, wie Wassertropfen, die einen Stein aushöhlen. Tropf, tropf, tropf. Bis genug Platz für das Dynamit ist.«
Sie fuhren im Kreis zurück zu Arkadis Niwa, der beim Näherkommen des Zil immer kleiner wurde.
»Ein fantastisches Auto«, sagte Arkadi.
»Und kugelsicher. Sie befinden sich in der illustren Gesellschaft von Präsidenten, Despoten und heldenhaften Kosmonauten, die Paraden angeführt haben.« Maxim reichte Arkadi eine Visitenkarte mit Adresse und ausgestrichener Telefonnummer, unter der mit Bleistift eine neue Telefonnummer stand. »Noch besser wäre eine Kopie der Notizen.«
»Nur mit Anjas Zustimmung.«
»Wie auch immer Sie es anfangen wollen«, sagte Maxim.
Bei Arkadis erster Begegnung mit Schenja hatte der Junge draußen in der Kälte vor einem Kinderheim gestanden. Er war acht Jahre alt, verkrümmt wie ein Junge, der Karren in einem Kohlebergwerk schob, und praktisch stumm. Mit siebzehn wirkte Schenja einfach wie eine größere Version seiner selbst. Er war das hässliche Entlein, das sich nicht in einen Schwan verwandelt hatte, und war scheu bis fast zur Selbstauflösung. Außer beim Schach. In den Grenzen des Schachbretts regierte er und demütigte Spieler, deren Ratings viel höher waren als seines, da ihm Bares wichtiger war als Turniertrophäen.
Arkadi fand Schenja in einer Reparaturwerkstatt für Computer, einen Block vom Arbat entfernt. Drei Techniker waren bei der Arbeit, jeder umgeben von Plastiktabletts mit bonbonfarbenen Dioden, Miniwerkzeugen und biegsamen Lampen. Alle trugen Kopfhörer, die sie mit ihren eigenen Welten verbanden. Schenjas Spezialität war Audioverstärkung. Nicht für Musik, nur für Klang. Rauchschwaden aus Wasserpfeifen hingen in der Luft.
Als einer der Techniker Arkadi bemerkte, schrak er zusammen.
Schenja nahm die Kopfhörer ab. »Ist schon okay. Er gehört zu mir.« Und an Arkadi gewandt: »Was willst du hier?«
»Hier? Du hast angerufen und eine Nachricht hinterlassen.« Bei Schenja fühlte sich Arkadi immer in der Defensive. »Außerdem wollte ich dir für die Schachfigur aus Schokolade danken, die du mir gebracht hast, als ich bettlägrig war. Ich hätte mich schon längst bei dir bedanken sollen.«
»Ich hatte keine Karte.«
»Macht nichts. Da es eine Schachfigur war, hab ich einfach geraten.«
»Ja, ja.« Schenja räusperte sich. »Wo wir gerade von Schach sprechen, ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich glaube nicht, dass Schach das Richtige für mich ist. Als Schachzocker oder Turnierspieler lässt sich kein Geld machen, kein richtiges Geld.«
»Was ist mit Computern?«
»Als Hacker?«
»Versuch was Legales.«
»Kein Schreibtischjob. Ich habe mein ganzes Leben lang gesessen. Ich habe Schach gespielt, seit ich fünf Jahre alt war. Ich meine, ich muss was anderes finden. Nicht das hier.«
»Und?« Das war hoffnungsvoll, eine echte Unterhaltung.
»Ich brauche deine Hilfe.«
Arkadi war ihm weit voraus. Er überlegte bereits, bei welcher Universität oder welchem technischen Institut Schenja sich bewerben könnte. Wie Arkadi seinen Einfluss geltend machen konnte. »Sag mir einfach, was du brauchst.«
»Na prima.« Schenja wühlte in seinem Rucksack und hielt Arkadi einen gefalteten Brief hin.
»Was ist das?«
»Lies ihn.«
Arkadi überflog den Brief. Er wusste, was es war.
»Elterliche Zustimmung«, sagte Schenja. »Ich bin noch nicht volljährig, und du kommst einem Vater noch am nächsten. Ich will mich zum Militär verpflichten.«
»Nein, das tust du nicht.«
»Ich kann sieben Monate warten und es dann selbst tun, aber ich bin jetzt schon bereit.«
»Nein.«
»Glaubst du, ich würde keinen guten Soldaten abgeben?«
Arkadi fand, Schenja würde einen guten Sandsack für die Soldaten abgeben.
»Darum geht es nicht.«
»Du warst bei der Armee. Dein Vater war General. Ich habe über ihn gelesen. Er war ein Killer.«
»Die Armee ist jetzt anders.«
»Glaubst du, ich kann das Schikanieren nicht aushalten?«
Da geht es um mehr als schikanieren, dachte Arkadi. Um
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