Tatjana
heißt?«
»Nein. Sie hatte einen kleinen Hund.«
»Was für eine Rasse?«
»Einer mit Glupschaugen.«
»Glupschaugen? Was für ein Schwanz?«
»So ein kurzer Wackelschwanz. Sie war hübsch.«
»War es eine Hündin?«
»Nein, die Frau.« Von Mann zu Mann fügte Wowa hinzu: »Und sie hatte hübsche Beine.«
»Das hast du bemerkt?«
»Sie haben gefragt.«
»Wie viel hat sie dir für das Notizbuch gegeben?«
»Fünfzig Dollar. Was ich wirklich brauche, ist eine Waffe.«
In was für einer Welt leben wir, dachte Arkadi, in der Kinder in Erdlöchern hausen und ganz selbstverständlich nach einer Waffe fragen?
Laut fügte Arkadi seinen Gedanken hinzu: »Ich sag dir was. Ich gebe dir fünfzig Dollar, wenn du und deine Schwestern euch vom Strand fernhaltet.«
»Ist das Ihr Ernst?«
Arkadi öffnete seine Brieftasche. »Bleibt eine Woche vom Strand weg, könnt ihr das machen?«
»Kein Problem.« Wowa wurde munterer. »Ich wünschte, Sie wären während des Bernsteinkriegs hier gewesen. Jeden Tag wurden Leichen an den Strand gespült.«
»Du wirst reich sein, wenn du das Fahrrad verkauft hast.«
»Da gibt’s nur ein Problem. Lena hat’s mit rausgenommen und vergessen, wo sie es gelassen hatte. Der Sand ist gewandert, und jetzt ist das Fahrrad verschwunden.«
Schenja und Lotte hatten einen Plan, der, genau wie eine Schachpartie, von den Zügen des Gegners abhing – davon, ob der Mann auf dem Flur sie hinausrufen oder in die Wohnung kommen würde, ob er allein war oder einen Komplizen hatte. Schenja würde die Pistole nehmen, und wenn er danebenschoss, konnte Lotte die Skistöcke einsetzen, vorausgesetzt, der Mann tat ihnen den Gefallen und kam in Reichweite. Vier Stunden von Alexis Frist waren bereits verstrichen, und Angst und Erschöpfung setzten ihnen zu.
In Schenjas Händen war die Pistole ein bleiernes Fragezeichen, Kontrollverlust statt Kontrolle, eine böse Vorahnung statt Entschlusskraft. Lotte musste dauernd auf die Tür starren, als sickerte bereits Blut über die Schwelle. Eine Idee zu einem Symbol folgte zögernd einer anderen, und manchmal vergingen Minuten, ohne dass ein Wort gesprochen wurde.
»Zwei ineinander verschlungene Ringe könnten Kooperation bedeuten«, meinte Lotte.
»Oder zwei Augen, zwei Eier, zwei Zimbeln, zwei Räder«, sagte Schenja.
»Du hältst es also für eine schlechte Idee.«
»Nein, aber wir haben nicht die Zeit, ein Lexikon zu werden.«
»Es passt zu den Gleichheitszeichen, den ›Ohren‹ für faire Anhörung und dem ›bla bla‹ der Sitzungseröffnung.«
Schenja schwieg.
»Hältst du es für möglich?«, fragte Lotte.
»Knifflig«, räumte er ein.
»Außer für einen Schachzocker, nehme ich an.«
»Ja.« Schenja war kein Psychologe, doch er hatte das Gefühl, bei jedem, der ihm gegenüber am Schachbrett Platz nahm, den Charakter und den Fähigkeitsgrad beurteilen zu können. Was er in den Notizen des Dolmetschers sah, deutete auf Eitelkeit. Was er in Lotte sah, war Ängstlichkeit, aber genauso viel Mut.
Er sagte: »Geld, chinesische Banken, Rubel, Dollars, U-Boote. Worauf läuft das alles hinaus?«
»Wofür steht das ›L‹?«
»Keine Ahnung.«
»Schwarze Feigen?«
»Tränen?«
»Öl«, sagte Lotte. »Wenn Russland nicht bar bezahlen kann, zahlt es mit Öl.«
»Und Erdgas, die weiße Träne.«
»Für was?«
Schenja fragte: »Und wenn nun die fünf Striche gar keine Striche sind, sondern eine Naht? Ein Flicken? Was, wenn es Reparaturen bedeutet?«
»Was ist mit Natalja Gontscharowa? Sie steht mit nichts in Verbindung.«
»Sie ist eine Anomalie«, räumte Schenja ein.
»Eine Anomalie ist etwas, mit dem man nicht umzugehen weiß. Ist der beste Anhaltspunkt nicht einer, der nicht zu passen scheint?«, fragte Lotte.
Skandale am Zarenhof waren nie Schenjas Stärke gewesen. »Soweit ich mich erinnere, hat Natalja Gontscharowa ihren Mann in ein Duell getrieben, und er wurde erschossen. Mehr weiß ich nicht. Taugt höchstens für Liebesromane.«
»Oder Mord«, sagte Lotte. »Ihr Mann war zufällig Puschkin, Russlands größter Dichter. Der andere Duellant trug einen Mantel mit Silberknöpfen. Puschkins Kugel prallte ab. Drei Tage später war er tot, und Natalja Gontscharowa fand Trost in den Armen des Zaren. Also, Ehebruch, Verschwörung, Zensur, Mord. Wo willst du anfangen?«
25
D ie Sonnenblumen in Ludmilla Petrownas Garten waren inzwischen zerzaust, die Tomaten hingen schwer an ihren Rispen, die Zucchini waren überreif. Und das Unkraut wuchs und
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