Tatort Oslo - Unehrlich waehrt am laengsten
Gesicht war dem ihren so nahe gekommen, dass sie freien Blick auf seine gelblich-braunen Zahnstummel hatte. Sein fauliger Atem war so ekelerregend, dass sie gegen einen plötzlichen Brechreiz ankämpfen musste, um ihm nicht direkt vor die Füße zu kotzen.
»Ich wollte … ich wollte nur …«, stammelte sie.
»Wollte, wollte, wollte«, äffte er sie höhnisch nach.
»Ich wollte nur wissen, was Leif hier macht!«, schrie sie verzweifelt und begann zu schluchzen.
»Leif?« Er stutzte, dann öffnete er den Mund und strich sich über sein unrasiertes Kinn. »Du nennst ihn Leif?«
»Ich verstehe nicht …«, jammerte sie.
»Spielt keine Rolle«, brummte er und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ist ja auch nicht gekommen, der Schwachkopf. Hat bestimmt wieder die Hosen vollgehabt.« Der Mann richtete sich auf und begann schwer atmend, im Zimmer hin und her zu marschieren. Er trug ein enges schwarzes T-Shirt, das sich über seinem voluminösen Brustkorb und den schwellenden Oberarmmuskeln spannte. Der Boden knarrte unter seinem Gewicht. »Wenn ich den Scheißkerl in die Finger kriege, dreh ich ihm den Hals um«, murmelte er.
»Bitte«, flehte Franziska, »wenn Sie mich gehen lassen, werde ich niemandem erzählen, dass ich hier war. Ich werde kein Sterbenswörtchen …«
»Irrtum!«, unterbrach er sie mit dreckigem Grinsen und streckte seinen Zeigefinger in die Luft. »Wir machen es genau umgekehrt. Du erzählst mir jetzt alles, absolut alles , was du weißt, und dann entscheide ich, ob ich dich gehen lasse. Ob ich dich gehen lassen kann .«
Damit stampfte er aus dem Zimmer und kam im nächsten Moment mit einem Glas Wasser zurück, das er auf den Tisch stellte. Er zog den Stuhl unter der Tischplatte hervor und bot ihr mit einer theatralisch galanten Geste den Platz an. »Mach’s dir bequem.«
Franziska wagte nicht, sich ihm zu widersetzen. Gehorsam stand sie vom Boden auf, setzte sich auf den Stuhl, trank einen Schluck Wasser und begann zu erzählen: dass Leif seit einiger Zeit der Freund ihrer Mutter sei und sich ziemlich merkwürdig verhalten habe. Dass ihr Misstrauen gewachsen sei, nachdem Leif ihre Familie auf eine Hütte mitgenommen habe, die bestimmt nicht seine eigene war, obwohl er das behauptet hatte. Und dass sie dann vorgestern Abend, rein zufällig, dieses Telefongespräch mitangehört habe, in dem Leif gesagt hatte, er würde heute früh um zehn zu dieser Hütte kommen, in der sie jetzt waren.
»Das Gespräch …«, fragte sie schüchtern, »hat er doch mit Ihnen geführt, oder?«
»Geht dich nichts an«, knurrte der Mann, der ab und zu nachhakte oder eine Zwischenfrage stellte, Franziska aber ansonsten nur selten unterbrach. Doch sollte sie ihm ganz genau Leifs Aussehen beschreiben, um sicherzugehen, dass sie beide dieselbe Person meinten. Als sie seine strubbeligen, dünnen Haare, den dunklen Teint und die Sonnenbrille erwähnte, die Leif ständig auf dem Kopf trug, nickte der Mann und stieß verächtlich die Luft aus. »Kein Zweifel. So einen eitlen Versager und Vollidioten gibt es nur einmal auf der Welt.«
Die SMS , die sie heimlich gelesen hatte, erwähnte Franziska mit keiner Silbe. Sie ging zwar davon aus, dass der schmuddelige, muskelbepackte Kerl mit dem zerknautschten Gesicht dieser Morten war, von dem die SMS stammte, doch hätte sie sich lieber die Zunge abgebissen, als ihn danach zu fragen.
Nachdem sie ihren Bericht beendet hatte, sagte der Mann kein Wort. Starrte bloß mürrisch vor sich hin und schien angestrengt nachzudenken. Draußen klatschte der Regen wie ein nasses Tuch gegen das Fenster. Franziska blickte hinaus, erkannte jedoch nur die schemenhaften Umrisse der Bäume, die sich im Wind bogen, als wären sie aus Gummi. Die Hütte ächzte unter dem entfesselten Sturm. Doch das Unwetter schreckte Franziska nicht. Sie wollte nur fort von hier, nach Hause – und wenn sie sich auf dem Heimweg eine Lungenentzündung holte.
Irgendwann nahm sie all ihren Mut zusammen und fragte leise: »Darf ich jetzt gehen?«
Die Antwort, die er ihr entgegenschleuderte, traf sie wie ein Keulenschlag. »Das könnte dir so passen!«
Kapitel 39
»Franziska … bist du sicher?«
Ohlsens eben noch so gut durchblutetes Gesicht verlor die Farbe. Stumm und angespannt lauschte er dem, was ihm sein Kollege am anderen Ende zu sagen hatte. »Okay, bin gleich da«, murmelte er schließlich und legte auf.
Alexander erschrak, als sein Vater ihm im nächsten Moment einen Blick zuwarf, in dem sich tiefe
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