Tatort Oslo - Unehrlich waehrt am laengsten
Sorge und Mitleid vereinten. »Was ist, Papa?«, fragte er angstvoll.
»Franziska ist spurlos verschwunden«, antwortete sein Vater so bedächtig, als brauchte er noch etwas Zeit, um die Nachricht zu verarbeiten. »Magnus hat gerade einen Anruf von Claudia erhalten. Sie macht sich große Sorgen, weil Franziska seit heute Morgen nicht zu Hause war. Sie geht nicht ans Handy und hat auch keine Nachricht hinterlassen. Hast du eine Idee, wo sie sein könnte?«
Alexander schüttelte den Kopf.
»Claudia hat Magnus erzählt, sie würde sich nur halb so viele Sorgen machen, wenn nicht auch ihr Freund, dieser Leif, verschwunden wäre. Der hat klammheimlich all seine Sachen gepackt und ist auf und davon. Ich will mich ja nicht in ihre Familienangelegenheiten einmischen, aber das kann doch kein Zufall sein, dass beide plötzlich weg sind. Außerdem hat jemand das Geld aus Claudias Urlaubskasse gestohlen, über 3000 Kronen.«
»Ich kenne Leif«, sagte Alexander nachdenklich. »Ist ein komischer Typ. Außerdem hat mir Franziska so seltsame Dinge über ihn erzählt.«
»Seltsame Dinge?« Ohlsen sah seinen Sohn fragend an.
Alexander berichtete seinem Vater alles, was für ihn von Interesse sein konnte. Alles, was er aus eigener Erfahrung über Leif wusste und was ihm Franziska über ihn erzählt hatte. Was er jedoch nicht erwähnte, war das abgrundtief schlechte Gewissen, das ihn plagte. Erst vor wenigen Tagen hatte er Franziska gegenüber betont, dass er Leif für einen ausgemachten Schwindler und Betrüger halte, der bestimmt so einiges auf dem Kerbholz habe. Er hatte sie regelrecht angestachelt, hinter ihm her zu spionieren. Wenn Franziska seinetwegen etwas zugestoßen war, würde er sich das nie verzeihen können.
»Ich muss jetzt aufs Präsidium«, erklärte Ohlsen, »und einige Vorkehrungen treffen. Wenn sie bis heute Abend nicht nach Hause gekommen ist, werden wir eine Vermisstenfahndung rausgeben.«
✶ ✶ ✶
Franziska kam weder am Abend noch in der Nacht noch am nächsten Morgen nach Hause. Ohlsen hatte eine Suchaktion in die Wege geleitet. Hatte eine Personenbeschreibung herausgegeben, die in Rundfunk und Fernsehen gesendet wurde. Claudia hatte ihm ein aktuelles Foto von Franziska gemailt, das in den Zeitungen veröffentlicht werden sollte.
Was die Suchaktion allerdings erschwerte, ja, nahezu unmöglich machte, war die Tatsache, dass niemand eine Ahnung hatte, wo man überhaupt nach ihr suchen sollte. Sie war wie vom Erdboden verschluckt, das war alles, was feststand.
Kapitel 40
Leif hatte die Nacht in einer einfachen Campinghütte verbracht. Das war die billigste Lösung gewesen und hatte zudem den Vorteil, dass sie es beim Vermieten mit der Ausweiskontrolle nicht so genau nahmen. Er hatte sich an der Rezeption einfach als Steinar Solbakken eingeschrieben, hatte die kleinste und billigste Hütte gemietet, die zu haben war, und sich am nächsten Morgen in aller Frühe wieder auf den Weg gemacht. In Richtung Trondheim.
Warum ausgerechnet Trondheim?
Warum nicht?
Er hatte kein bestimmtes Ziel.
Nachdem er sich an einer Tankstelle mit einem Becher Kaffee und einer Tüte Rosinenbollen versorgt hatte, war seine Laune spürbar gestiegen. Der nervtötende Dauerregen, der ihn seit gestern Morgen ununterbrochen begleitet hatte, war einem trockenen Mix aus Sonne und Wolken gewichen, und fast glaubte er, die ersten Vorboten des Frühlings zu spüren, als er die Seitenscheibe ein Stück nach unten fuhr und sich den Wind um die Nase wehen ließ.
Was so eine Nacht in fremder Umgebung doch ausmacht, dachte er lächelnd und wunderte sich darüber, wie befreit er sich plötzlich fühlte. Wie ein Mann, der die Gespenster der Vergangenheit verscheucht hatte und einer verheißungsvollen Zukunft entgegenfuhr.
Er stellte das Radio an, suchte einen Musiksender, der seinem flexiblen Geschmack entsprach, und blieb bei Amy Winehouse hängen: »Love is a losing game«. Als zum zweiten Mal der Refrain erklang, sang er laut und schief mit, wurde allerdings im nächsten Moment von der Stimme des Moderators unterbrochen.
»Liebe Radiohörer, wir unterbrechen das Programm für eine aktuelle Durchsage. Die Polizei sucht seit gestern Abend die 13-jährige Franziska Fischer aus Oslo …
Leif zuckte so heftig zusammen, dass er für einen Moment fast die Kontrolle über sein Auto verloren hätte, das augenblicklich ins Schlingern geriet.
»… Mädchen ist 1,62 Meter groß und schlank, hat braune Augen und braune schulterlange Haare.
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