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Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko

Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko

Titel: Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shaw Johnny
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den knapp zwanzig Kilometern von Holtville bis zur Stadtgrenze von El Centro sah man fast nur Felder und Stromleitungen. Östlich der Stadt reihten sich auf anderthalb Kilometern entlang der Straße Speditionshöfe und Versandlager aneinander. Obwohl die Straße asphaltiert war, hing wegen der von den Feldern zurückkehrenden Traktoren ständig eine Staubwolke in der Luft.
    Ich fuhr an der Stelle vorbei, wo der Schriftsteller Nathanael West ums Leben gekommen war, eine nicht weiter bemerkenswerte Kreuzung mit einem zwanzig Hektar großen Schrottplatz auf der einen Ecke, einer John-Deere-Vertretung auf einer anderen und verlassenen Scheunen an den beiden übrigen Ecken. Die wahre Tragik lag in seinem Tod, aber die trostlose Anonymität dieses Orts ließ sein Schicksal noch bedauernswerter erscheinen. Hätte West das Imperial Valley gemieden, wäre er nicht bei diesem Autounfall ums Leben gekommen. Daraus lässt sich ganz bestimmt irgendeine Lehre ziehen.
    Ich fuhr an dem Schild mit der Aufschrift »Willkommen in El Centro« vorbei, von dem mich eine cartoonartige Sonne mit Sonnenbrille begrüßte – und zwar in der »größten US-Stadt, die vollkommen unter dem Meeresspiegel liegt«. In meiner Kindheit war El Centro eine florierende Kleinstadt gewesen. Aber als ich
jetzt die Main Street entlangfuhr, sah ich mehr leer stehende Läden als geöffnete. Jede Menge Beton, Dreck und hie und da eine Palme … El Centro war eine Stadt, die dringend ein Bad nötig hatte. Sogar die Häuser schienen zu schwitzen. Aber es war immerhin »das Zentrum«; und wenn man hier unten wohnte, kam man an El Centro und Calexico nicht vorbei. Eine Stadt mit großen Geschäften, Kinos, einem Krankenhaus, einem Sears-Laden und einem Gericht hat es nicht nötig, sich herausputzen.
    Unser Haus war im Sommer zu heiß und im Hospiz nur vorübergehend ein Platz frei, deshalb hatte Pop seine eigenen Vorkehrungen getroffen. Da er in der Nähe bleiben wollte, war das Genesungsheim Harris die beste Lösung. Ich kannte ein paar Leute, deren Großeltern dort gestorben waren, scheinbar als zufriedene Kunden. Ich fuhr von der Main Street ab und auf der Ross Avenue am Krankenhaus vorbei.
    Traurig, dass es so viele freie Plätze auf dem Besucherparkplatz gab. Außer meinem Pick-up war da nur ein anderes Auto. Bevor ich hineinging, rauchte ich eine Zigarette und lief auf und ab. Ich hatte Pop eine ganze Weile nicht gesehen und wusste nicht, was mich erwarten würde. Mir war klar, dass ich mich ein bisschen geistig darauf vorbereiten musste. So sehr ich mich auch freute, ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen, hatte ich doch ein mulmiges Gefühl in der Magengrube. Es war wie der erste Satz des letzten Kapitels.
    Ich versuchte, mich auf das Positive zu konzentrieren. Ich freute mich, Pop dazu zu bringen, Geschichten aus seiner Kindheit zu erzählen. Es schien der richtige Zeitpunkt dafür. Außer ein paar ständig wiederholten Geschichten aus seiner Militärzeit, die wahrscheinlich sowieso nicht stimmten, wusste ich sehr wenig von seinem Leben vor meiner Geburt. Er war immerhin vierundfünfzig, als ich auf der Bildfläche erschien. Da ist schon eine Menge im Leben gelaufen. Eine Menge Fragen. Er war während der Depression geboren und im Zweiten Weltkrieg eingezogen worden, und mit allem davor und danach, da würde man doch erwarten, dass er ein paar Geschichten auf Lager hätte, in denen
es nicht um Wochenendurlaub, eine kleine Flasche Apfelschnaps und eine Sängerin der Truppenbetreuung in einem kackbraunen Kleid ging.
    Natürlich hatte ich ihn mein ganzes Leben lang gekannt, aber ich war mit achtzehn von zu Hause weggezogen. Und ich war damals für meine achtzehn Jahre noch ziemlich grün gewesen. Dies sollte nun die intensivste Zeit unserer Beziehung werden, seit ich erwachsen war. Das war wichtig. Ich kannte Pop, wie er war, aber nicht, wie er einmal gewesen war. Die Geschichte war nicht zu Ende erzählt. Wir hatten die Chance, einander als Vater und Sohn, als Freunde, aber vor allem als Erwachsene kennenzulernen.
    Ich trat meine Zigarette aus, atmete einmal tief die heiße und gar nicht frische Luft ein und betrat das rosa verputzte Gebäude. Als ich durch die Glastüren ging, wurde ich von der Klimaanlage ganz benommen. Ich stützte mich mit der Hand an einer Wand ab und musste ganz kurz ausruhen, um nicht ohnmächtig zu werden. In einer Sekunde von fast vierzig Grad runter auf fünfzehn, das kann dem Körper einfach nicht guttun.
    Ich wurde von einer

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