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Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko

Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko

Titel: Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shaw Johnny
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sein Schädel rund um Augen und Wangen stark abzeichnete. Unter seinem Kinn hing die Haut lose herab. Seine Glatze war mit dunklen Flecken übersät und hier und da verschorft. Die tiefen Lachfalten um seine Augen erinnerten mich an den Mann, den ich einst gekannt hatte.
    In besseren Zeiten war Pop ein eins fünfundneunzig großer Farmer norwegisch-deutscher Abstammung gewesen, drahtig und
muskulös. Ich hatte nie erlebt, dass ihm irgendein Gegenstand zu schwer gewesen wäre. Seine Stärke stammte aber nicht von seinem Körperbau, sondern von seiner Willenskraft. Er konnte tonnenschwere Sachen schleppen, einfach weil er überzeugt war, dass er es konnte. Einmal hatte ich gesehen, wie er ein volles Bierfass zwei Treppen hochtrug. Zugegeben, er war ziemlich betrunken gewesen und entsprechend unempfindlich, aber es war trotzdem eine Glanzleistung. Jetzt sah er so aus, als könnte er kaum eine Serviette zum Mund führen.
    Ich nahm mir einen Stuhl, der an der Wand stand, und stellte ihn neben das Bett. Ich sah mich kurz im Zimmer um. Es machte einen sauberen und wohnlichen Eindruck, aber anonym wie ein Hotelzimmer. Keine Bilder oder persönlichen Gegenstände schmückten den Raum. Der kleine Stapel Bücher und Kreuzworträtselhefte neben dem Bett war das Einzige, was auf Pop hinwies.
    »Wie war deine Fahrt?«, fragte Pop. Seine Stimme war kräftig, aber belegt vom langen Schweigen.
    »Keine besonderen Zwischenfälle. Ich bin einfach hierunter gedüst und hab vor mich hingeträumt«, antwortete ich und bemühte mich, mir wegen seines veränderten Aussehens nichts anmerken zu lassen. Ich konzentrierte mich einfach auf die blutigen Fetzen Toilettenpapier an seinem Kinn.
    »Du rasierst dich selbst, wie ich sehe. Womit? Mit Schlagsahne und einem Plastikmesser?«
    Pop grinste. »So eine richtige Rasur mit heißen Handtüchern würde ich mir ja noch gefallen lassen, aber für eine Schwester mit einem billigen Wegwerfrasierer gebe ich meine gewohnte Routine nicht auf.«
    Ich kann mich noch erinnern, wie ich ihm als Kind beim Rasieren zugeschaut hatte. Das über sein Gesicht streifende Rasiermesser hörte sich an wie Schmirgelpapier auf Glas. Das Ergebnis der Rasur war ziemlich enttäuschend und dafür sah es viel zu gefährlich aus.
    »Schon mal dran gedacht, dir einen Bart stehen zu lassen? Vielleicht wirkst du damit seriöser. Das wolltest du doch immer«, sagte ich grinsend.
    Pop lachte. »Ja, ich hab überlegt, mir einen Spitzbart wachsen zu lassen und in Beatnik-Buchläden und Coffeeshops Folkmusik zu spielen, aber um diese Jahreszeit findet man zum Verrecken keine Mandolinensaiten.«
    »Es ist nie zu spät: Big Jack Veeder und die belesenen Bauern.«
    Und so fing es an. Die nächsten zwanzig Minuten dachten Pop und ich uns Namen für Folkbands und ihre Lieder aus. Unsere stundenlangen Telefonate bestanden oft hauptsächlich aus üblen Wortspielen und schwachsinnigen Witzen. Pop machte mit: »Danke, das waren ›Jack Veeder und die Druckgeschwüre‹ mit ›Krebs? Ich hab sie kaum gekannt‹.« Je schlimmer der Bandname, umso mehr mussten wir lachen: »Die Kolostomiebeutel«, »die katholischen Atheisten« und mein Lieblingsname, »Jack Veeder und die tropischen Leck-mich-ich-sterbe-Allstars«.
    Als Pop mit seiner besten Diskjockeystimme den Song »In der Armee lernt man nur, wie man vor andern Leuten scheißt« ankündigte, kam eine Schwester rein – nicht Angie –, um ihm seine Pillen zu geben, und das brachte uns aus dem Rhythmus.
    Das war eigentlich schade, denn wenn Pop und ich witzelten und lachten, war es, als wäre er gar nicht krank. Unsere Beziehung beruhte zu einem Großteil darauf, uns gegenseitig zum Lachen zu bringen. Eine stärkere Grundlage für eine Freundschaft konnte ich mir nicht vorstellen. Manche finden das vielleicht oberflächlich, aber denen fehlt einfach der Humor, um es zu verstehen.
    In den letzten Jahren drehten sich unsere Telefongespräche oft darum, den »großen Lacher« zu finden. Den schwer zu fassenden Kalauer, der einem höchstens einmal im Jahr gelingt. Das Lachen, das so ansteckend war, dass man Seitenstechen bekam und einem das Gesicht wehtat und man doch nicht aufhören konnte. Der »große Lacher« machte nicht einmal richtig Spaß. Obwohl es uns schon auch darum ging. Es war schon viel zu lange her, für uns beide. In der Erinnerung konnte ich Pop vor mir sehen, sein Gesicht schmerzverzerrt vom »großen Lacher«. Ich hatte nicht den Eindruck, dass so was noch möglich war.
    Als

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