Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko
ich rot wurde, peinlich berührt, dass ich unsere unausgesprochene Grenze überschritten hatte.
Pop lachte: »Hast du Angst, ich könnte von dir enttäuscht sein? Ich dachte, du hättest mehr Selbstvertrauen. Ich dachte, du wärst so klug, dass dir scheißegal ist, was ich denke … oder was andere denken.«
Ich zuckte mit den Schultern und wusste immer noch nicht, warum ich die Frage gestellt hatte oder was ich jetzt sagen sollte. Ich musste wirklich mein Mundwerk und meinen Verstand in Einklang bringen.
Pop stützte sich mit den Armen ab, um sich aufzurichten. »Als ich dich großgezogen habe, habe ich alles daran gesetzt, dass du kein Farmer wirst. Als du mit dem Studium fertig warst, ach was, schon bei deinem ersten Seminar, da war ich unheimlich stolz auf dich.«
»Ich will dir deine Illusionen nicht nehmen, Pop, aber das Studium hat mir nicht so wahnsinnig viel gebracht.«
»Ach, zum Teufel!« Pop zeigte fast so etwas wie Wut, aber Wut war in seinem Gefühlsrepertoire eher schwach entwickelt. Sie machte sich als Verärgerung Luft. »In meinen Augen bist du erfolgreich. Und ich bin stolz darauf, dass ich dir geholfen habe wegzukommen. Du weißt doch, wie’s abläuft. Du hättest leicht in der Highschool irgendein Mädchen schwängern können. Dann hättest du dich ›anständig‹ verhalten und sie geheiratet. Anständig? Dass ich nicht lache. Da steckt System dahinter – und ein kleiner Fehler hätte dich auf Linie gebracht. Du hättest dreißig Hektar Land gepachtet und Luzerne angebaut. Es wäre nicht einfach gewesen,
aber mit der Zeit hättest du noch mehr Land dazu gepachtet, noch ein paar Kinder gemacht … Dann, in fünfzig Jahren oder so, würdest du abnippeln. Du hast schon deshalb gewonnen, weil dir das alles erspart geblieben ist.«
»Ach, komm! So schlimm ist das Farmerleben auch nicht«, sagte ich.
»Mag sein. Aber für dich wäre es damals ziemlich schlimm gewesen. Alles kann zum Albtraum werden, wenn man keine Wahl hat. Wenn man nichts anderes kennt. Wenn du es nur machst, weil dein Vater es auch schon gemacht hat. Und du es nur tust, weil du dich damit auskennst und es dir Sicherheit bietet und du Angst davor hast, was anderes zu machen. Obwohl du viel lieber was anderes machen würdest.
Weißt du, wie viele Bücher ich schon gelesen habe, in denen die Farmer das Salz der Erde sind? ›Das Salz der Erde‹, ein sehr zweifelhaftes Kompliment. Wenn man Salz auf die Erde streut, wächst gar nichts mehr. Es wird einem eingeredet, Landwirtschaft sei eine noble Tätigkeit. Eine, die einen adelt. Sie adelt einen keinen Deut mehr als Arbeit unter Tage, im Schlachthaus oder auf dem Friedhof. Wenn man nur Drecksarbeit machen muss, um adelig zu werden, dann bin ich die Königin von Norwegen. Vielleicht gibt’s ja Leute, die freiwillig Farmer werden, aber ich kenne keinen.«
Pop hielt inne, sah mir direkt in die Augen und atmete hastig. Der traurige Blick in seinen tief liegenden Augen war mir ein bisschen unangenehm. Er redete langsam und mit ernster Stimme.
»Eigentlich wollte ich so ein Gespräch übers Sterben zwischen todkrankem Vater und liebendem Sohn vermeiden, aber wir kommen wohl nicht drum herum.« Pop machte ein so düsteres Gesicht, wie ich es gar nicht kannte. »Aber damit das klar ist, wir reden nur einmal darüber. Ein einziges Mal und dann nie wieder. Dann ist es mit dieser Scheißernsthaftigkeit vorbei und wir machen weiter wie gehabt. Das ist mir einfach zu normal. Schließlich habe ich dir mehr Humor beigebracht.«
Ich nickte nur, und mein Hals fühlte sich plötzlich ganz trocken an. Ich hätte ein Glas Wasser gebrauchen können, wollte
mich aber nicht vom Fleck rühren. Ich beugte mich ganz nah zu Pop rüber, so, als wollte ich ihm ein Geheimnis verraten.
»Ich sterbe und ich fürchte mich einfach zu Tode. Na ja, ›zu Tode‹ ist wohl der falsche Ausdruck.« Er konnte sich ein schwaches Lächeln nicht verkneifen. »Aber was würde es mir nutzen, in Panik auszubrechen? Was würde es mir nutzen, zu jammern oder zu heulen oder mich unter der Bettdecke zu verkriechen? Ich kann sowieso nichts dran ändern. Und so wie ich mich fühle, dauert’s nicht mehr lange. Sterben ist wirklich Scheiße, wenn man nicht an Gott glaubt. Aber jetzt fang ich auch nicht damit an, nur weil ich Angst habe. Ich hab eine Heidenangst, und die kann ich nur bekämpfen, indem ich mich ablenke. Ich will glücklich sterben. Ich will mit einem Lachen sterben.«
Ich hörte einfach nur zu und
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