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Taubenkrieg

Taubenkrieg

Titel: Taubenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Lüpkes
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der Einzige gewesen, der einen vollständigen Satz gesprochen hatte. Heute, seit seiner Anreise zur Pressekonferenz, hatte keine Menschenseele von Boris Notiz genommen. Es tat fast gut, dass die Staatsanwältin sich seiner annahm.
    »Gibt es neue Erkenntnisse?«, fragte er aus Interesse, aber auch, um das Gespräch in Gang zu halten. Es lenkte ihn ein wenig von seinem Lampenfieber ab.
    »Doch ja!« Mehr verriet sie leider nicht.
    Die Publikumsstühle links vor Boris waren noch unbesetzt. Er versuchte, die dort aufgestellten Namensschilder zu entziffern: Leo Kellerbach, der Rockeranwalt, ihm war ein Platz in der ersten Reihe reserviert worden.
    »Der wird schon wissen, warum er hier besser nicht auftaucht«, mutmaßte die Staatsanwältin, nachdem sie Boris’ Blick bemerkt hatte. »Sonst lässt Kellerbach sich ungern eine Chance entgehen, im Rampenlicht zu stehen.«
    »Einen Stuhl weiter soll ein gewisser Maximilian Brunken sitzen. Wer ist das?«
    Sieglind Maschler zog die Augenbrauen hoch. Sie war eine angenehme Erscheinung. Von nichts zu viel, von nichts zu |26| wenig. Schmeichelndes Make-up, sauberer Pagenschnitt mit natürlich grauen Strähnchen, dezenter Schmuck. Wahrscheinlich zwei Kinder, dachte Boris, und ein Mann, der ihr die Karriere trotzdem gönnte. Denn wer einen solch wichtigen Fall übernahm, dem musste der leitende Oberstaatsanwalt eine Menge zutrauen. »Maximilian Brunken nennt sich selbst
Mighty Mäxx
. Das spricht schon für sich, oder?«
    »Der Präsident*?« Schon bevor Boris die zwei Wörter ausgesprochen hatte, sah er den Brocken im Türrahmen auftauchen. Ein spiegelglatter Kahlkopf mit blondiertem Wangenbart, der besser in eine prallbunte Wrestling-Show passte als in diesen rechteckigen, mit Steuergeldern zeitlos eingerichteten Behördensaal. »Ist er das?« Und dann, nachdem der Ankommende stehen geblieben war, um mit nahezu majestätischer Geste die anderen Rocker zu grüßen, konnte Boris seine Frage direkt selbst beantworten. »Ja, das ist er.«
    »Sie sind ein Fachmann auf dem Gebiet, wie ich hörte?« Sieglind Maschler schlug ihre Beine übereinander, das obere ihm zugewandt, zumindest schien sie ihn nicht unbewusst abzulehnen. »Die Institution der Männerbünde als Konkurrenz und Ergänzung zur bürgerlichen Familie am Beispiel der sogenannten Rockerszene.«
    »Sie haben es gelesen?«
    »Immerhin überflogen. Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir hier Ärger mit den Jungs haben. Und da ist Ihre hochgelobte Diplomarbeit mal eine ganze Zeit als Lesestoff in unseren Abteilungen unterwegs gewesen.«
    »Und? Sind Sie dadurch schlauer geworden?« Boris spürte, dass er ein bisschen lockerer wurde. »Oder haben Sie es als Einschlafhilfe genutzt?«
    »Sagen wir so: Es hat mir einige Einsichten erlaubt in eine Welt, die mir fremd ist und immer fremd bleiben wird. Und diese Einsichten bringen mich hier und heute zu der Gewissheit, |27| dass der Mord ohne Leiche am Pinnower See ein klassischer Kampf zwischen konkurrierenden Banden gewesen sein muss.« Sie schlug die Akte wieder auf, punktgenau an der Stelle, wo Wenckes Unterschrift unter einer langen Auflistung zu erkennen war. Die vielen mit Textmarker hervorgehobenen Zeilen und die angehefteten Notizzettelchen waren nicht zu übersehen. »Und sicher keine Beziehungstat, wie Ihre Kollegin nachzuweisen versucht.« Die Staatsanwältin machte ein Gesicht wie eine Lehrerin, die einen ungeschickten Schüler beim Spicken erwischt hatte. »Wo ist sie überhaupt, diese Frau Tydmers?«
    »Im Urlaub. Bei uns in Niedersachsen ist heute der letzte Schultag, und sie will morgen mit ihrem Sohn   …«
    »Sehr schade. Ich hätte ja gern einmal von ihr erfahren, wie man eine solche Schlussfolgerung ziehen kann. Das ist doch   … entschuldigen Sie, ich will Ihnen da nicht eine Kollegin madig machen, aber dieses Gutachten hier ist doch wohl echt ein schlechter Scherz.«
    Boris öffnete den obersten Knopf am Hals, dabei spürte er seinen Puls klopfen, als habe er ein Metronom verschluckt. Eigentlich müsste er jetzt in die Luft gehen, zumindest den Rücken könnte er durchdrücken und diese Frau Maschler zurechtweisen. Doch wenn er ehrlich war, hatte er nicht viel anders gedacht, als er heute Morgen Wenckes Bericht auf dem Bildschirm gelesen hatte. Seine Kollegin hatte von dem großen, gefährlichen Rockerkrieg nicht viel übrig gelassen, hatte die Kämpfe um die Vorherrschaft im Rotlichtmilieu und die Duelle um den norddeutschen Marihuana- und

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