Tausche Brautschuh gegen Flossen
sein kann, als ich mit jemand anders ins Gespräch
komme. Wie gewohnt ist es allgemeines Geplänkel.
Eine gute Möglichkeit, einen lahmen
Small Talk anzukurbeln, ist oftmals die Frage nach dem Ort, an dem sich der andere
befindet. Die meisten schreiben von zu Hause aus in Hamburg oder Köln, einige sind
im Büro, andere sitzen mit dem Laptop bei Burger King oder im Park. Mir fällt ein,
dass ich noch nie mit jemandem gechattet habe, der wie ich aus Thüringen stammt.
Als ich meinen aktuellen Gesprächspartner,
der sich ›Inseltaucher‹ nennt, nach seinem Aufenthaltsort frage, öffnet er ein Fenster,
das zur Kommunikation zwischen ausschließlich uns beiden dient.
›Ich bin auf Teneriffa‹, schreibt
er.
Jemand, der das Cybern nicht mal
in den Ferien lassen kann, ist mir bislang nicht begegnet.
›Wollen wir tauschen?‹, tippe ich.
›Du kommst her und erledigst meinen Nicht-Job, während ich für dich Urlaub mache.‹
Als wäre die Möglichkeit eines Kurzurlaubs
greifbar, zähle ich die verbleibenden Tage in Einsamkeit. Auf Teneriffa würde die
Zeit wie im Flug vergehen. Ganz sicher würde mir dort anderes einfallen, als vor
dem PC zu sitzen.
›Ich lebe hier seit fünf Jahren‹,
schreibt der Inseltaucher und überrascht mich nun richtig.
Ich bewundere jeden, der den Traum
vom Auswandern umsetzt. Die meisten reden darüber, malen sich ein Leben anderswo
aus und bleiben doch für immer in Deutschland, wo sie bis zum bitteren Ende über
Politik und Wetter nörgeln. Bedenke ich es recht, so befinde ich mich auf dem besten
Weg, ein solcher Nörgler zu werden.
Für die Dauer eines Jahres habe
ich in Kalifornien gelebt. Damals und auch während meines Studiums wäre es mir nie
eingefallen, den Rest meines Lebens in derselben schrulligen thüringischen Kleinstadt
zu verbringen, in der ich geboren wurde. Ich doch nicht, ich reisefreudiges, nie
an Heimweh leidendes Mädchen. Doch alle meine Freundinnen sind hier. Lukas ist hier.
Er ist dem Auswandern nicht abgeneigt, zieht das Bleiben aber vor, insofern er nach
seiner Zeit bei der Bundeswehr einen Job findet, der seinen Vorstellungen entspricht.
Außerdem mag ich meine schrullige Kleinstadt irgendwie. Sie versprüht einen Charme,
der mich bisher immer wieder nach Hause geholt hat und dort die meiste Zeit freiwillig
hält. Und ich mag unsere Wohnung. Ja, mein ganzes Leben, das mag ich. Eigentlich.
Manchmal sprechen Lukas und ich
von einer Finca in Spanien oder Italien, wohin wir in jedem Winter fahren und übersiedeln
wollen, wenn wir alt sind. Ich meine, dass wir so lange nicht zu warten bräuchten,
hätten wir erst einmal die Finca.
Im Grunde ist es nichts als eine
Spinnerei. Die Wirklichkeit sieht eher so aus, dass wir in Deutschland bleiben,
hier in unserer hellen, großen Altbauwohnung oder irgendwo in der Nähe von Frankfurt
oder München. Wir werden in gut bezahlten Jobs arbeiten. Ein- oder zweimal im Jahr
geht es mit dem Nachwuchs in den Urlaub. Es wird Herbst werden und Winter, und zwar
regelmäßig. So wird es kommen, und so wäre es nicht nur okay, sondern schön. Auch
das ist noch ein Traum, allerdings ist dieser, im Vergleich zu dem anderen, sehr
viel realistischer.
Was nicht heißt, dass ich nicht
gern die unmöglichsten Dinge träume. Mit offenen und geschlossenen Augen.
Das Gespräch mit dem Inseltaucher verläuft von
nun an sehr abwechslungsreich. Er schreibt, dass er eine Tauchschule besitzt, und
erzählt Anekdoten von seinen Ausflügen und Erfahrungen mit Touristen. Da ich Tauchanfänger
bin, kann ich meinen Beitrag zu den schrecklichsten Anfängerfehlern leisten. Trotzdem
teile ich seine Faszination für die Unterwasserwelt.
Auf den Seychellen
haben Lukas und ich fünf wunderschöne Spots betaucht, unter anderem das Aldabra-Atoll,
welches zum Weltnaturerbe der UNESCO gehört. Der Inseltaucher zeigt sich beeindruckt,
da er selbst nur den Atlantik und Pazifik erkundet hat, die vielen legendären Spots
im Indischen Ozean kennt er lediglich aus Fachbüchern. Teneriffas Unterwasserwelt
ist längst nicht so spektakulär wie das endlose Blau anderswo auf der Welt, gibt
er zu, und reagiert begeistert, als ich ihm von meiner Begegnung mit einem Mantarochen
erzähle.
Bevor er auf Teneriffa sesshaft
wurde, lebte er in North Carolina. Während seines Studiums der Meeresbiologie beschäftigte
er sich eine Zeit lang mit Haien und betauchte Spots, an denen sie leben.
›Was hat dich veranlasst, Deutschland
zu verlassen?‹, will ich
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