Tausche Brautschuh gegen Flossen
wissen.
Offenbar habe ich einen wunden Punkt
getroffen, denn er blockt ab und sagt, dass es zu lang her ist, als dass sich eine
Erinnerung lohne. Für ihn sei das Thema Deutschland erledigt, für nichts und niemanden
käme er zurück. Nicht einmal in Gedanken.
Ich weiß nicht, wie ich reagieren
soll. Mehrmals tippe ich etwas ein, doch lösche es sogleich wieder, weil es mir
unpassend erscheint.
›Was bedeutet dein Name, Kit Black?‹,
lese ich erleichtert darüber, dass er die Konversation in andere Bahnen lenkt.
›Kit steht für »Kitty« und bedeutet
also »Katze«. Ich habe ein Faible für Katzen und Schwarzes‹, kläre ich ihn mit einem
Lächeln auf. ›Das klingt okkult, doch mit Grabtänzern oder Hilfsgrufties habe ich
nichts zu tun.‹
Nicht aus Prinzip gebe ich schwarzen
Dingen den Vorzug. Die Objekte meines Begehrens vergleiche ich sogar oftmals mit
den gleichen in anderen Farben, doch entscheide mich zumeist für die schönste Nichtfarbe
der Welt.
Bevor ich mich versehe, erzähle
ich von meinem Shoppingausflug und wie mich mein Nicht-Job praktisch veranlasst
hat, so viel Geld auszugeben. Während ich tippe und tippe und lese und immer wieder
schmunzle, überlege ich, wie kurios das ist, was ich mache. Mit einem Unbekannten
diskutiere ich die Probleme und Freuden des Alltags. Bloß weil ich eine normale
Unterhaltung wollte und niemand sonst zur Verfügung stand.
Als draußen
die Morgendämmerung einsetzt, bin ich es, die das Ende des Gesprächs sucht. Zwar
bin ich kaum müde und könnte noch Stunden auf der Tastatur herumhacken, doch ich
meine – vielleicht gerade weil ich weitermachen könnte –, dass es Zeit ist, den
Chat zu verlassen und ins wahre Leben zurückzukehren. Also verabschieden wir uns
bis irgendwann vielleicht mal wieder.
Im Bett liegend
überkommt mich ein schlechtes Gewissen wegen Lukas, was ziemlich bescheuert ist,
denn weder er noch ich sind über die Maßen eifersüchtig. Mit einer Freundin aus
der Schulzeit trifft sich Lukas gelegentlich auf einen Kaffee und amüsiert sich
nachher mit mir über die an mich herangetragenen Hinweise. Man sage es mir nicht
gern, heißt es dann, doch der Lukas wurde abermals mit dieser Frau im ›Café Olé‹
gesehen. In der Einkaufspassage, am helllichten Tag! Die Erkundigung, ob zwischen
uns beiden alles in Ordnung ist, ist reine Formsache.
Natürlich ist
zwischen uns alles in Ordnung. Wahrscheinlich läuft es sehr viel besser als bei
anderen, die sich täglich eine Szene machen. Das rufe ich mir auch jetzt ins Bewusstsein,
wenngleich es mir irgendwie missfällt, dass ich es mir überhaupt sage.
Warum denkst
du denn darüber nach, du dumme Nuss!, rüge ich mich selbst und schlummere, über
die Wirrungen und Irrungen meiner Gedanken, alsbald ein.
Keine drei Stunden später werde ich vom Schrillen des Telefons geweckt.
Es ist mein Chef, der am anderen Ende der Leitung spricht. Im Gegensatz zu mir wirkt
er munter und wahnsinnig motiviert. Ich muss mich ein paarmal räuspern, bevor ich
überhaupt imstande bin, eine Silbe zu formen. Zudem habe ich Mühe, auf den Beinen
zu bleiben und die Augen offen zu halten. Er hat sich den besten Tag des vergangenen
Monats ausgesucht, um mich ins Büro zu bitten.
Mit einem Seufzen schlurfe ich ins
Bad und stelle die Dusche an. Als ich unter den Strahl lauwarmen Wassers trete und
die Müdigkeit abspüle, regt sich vorsichtiger Optimismus in mir. Vielleicht ist
mein Büro inzwischen fertig oder der erste Mitarbeiter in meinem Team eingestellt?
Möglicherweise sind sogar der Server und die Software eingetroffen, mit welchen
die Datenarchivierung realisiert werden soll. Mich da einzuarbeiten wäre eine monatsfüllende
Aufgabe. Also genau das, was ich jetzt haben muss.
Im Büro erwartet mich das Übliche: Ein zweistündiges Gespräch mit dem
Chef, das mich so gar nicht weiterbringt und so überhaupt keine für mich wichtigen
Informationen enthält. Nach wie vor liegt mein Büro brach, und die Stellenausschreibung
für mein Team wurde nicht einmal aufgegeben. Je mehr mir dieser Mann erzählt, desto
wütender werde ich und kann bald kaum noch still sitzen. Ich bin es leid, ständig
zu nicken oder eine zweisilbige Bemerkung einzuwerfen – dies zum Zeichen, wie interessiert
und aufmerksam ich bin. Viel lieber möchte ich ihn auffordern, seine Zeit sinnvoll
zu nutzen und auch meine nicht zu verschwenden. Prinzipiell habe ich davon zwar
gerade zu viel, doch ich bestimme gern selbst, wie ich sie rumbringe.
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