Tausche Brautschuh gegen Flossen
Für heute
hätte ich es vorgezogen, auszuschlafen.
Mein Chef stammt aus einem Vorort
von Bremen und leitet dort bereits eine Firma, die Datenarchivierung als Dienstleistung
anbietet. Dies mit einigem Erfolg, wie mir zum inzwischen fünften Mal versichert
wird. Offenbar lauert man bei der jungen Thüringer Zweigstelle auf die finanzielle
Unterstützung des Landes. Immer wieder erklärt mir mein vollleibiges Gegenüber im
grauen Anzug, dass er gute Kontakte zu einem Landtagsabgeordneten pflegt, der gern
einen über den Durst trinkt, und dass alles eine Frage der Zeit ist. Dies äußert
er in einem unangenehm jovialen Tonfall und mit einer Zuversicht, die mich staunen
lässt. Je öfter ich es höre, desto mehr bedauere ich es, den Arbeitsvertrag unterzeichnet
zu haben.
Noch während meines Studiums habe
ich mich bei der Firma beworben, die im großen Stil als neu angesiedeltes Unternehmen
Stellen in der Region vergab, unter anderem an Grafik- und Webdesigner. Das versprochene
Gehalt war verlockend und das Vorstellungsgespräch sehr angenehm. Es war meine erste
Bewerbung und erschien mir damals wie ein Sechser im Lotto, dass ich aus der Vielzahl
der Bewerber ausgewählt wurde. So einfach hatte ich es mir nicht vorgestellt, in
Nordthüringen eine Arbeitsstelle zu finden, in der ich meine im Studium erworbenen
Kenntnisse tatsächlich umsetzen konnte.
Augenscheinlich ist es alles andere
als einfach.
In dieser Firma stimmt gar nichts.
Es gibt keinen Arbeitsplatz, es gibt keine Arbeit, es gibt kein Geld. Während mein
Chef noch quasselt, beschließe ich, mich neu zu bewerben und dabei keine Kompromisse
einzugehen. Zudem sollte ich diesen vor sich hin brabbelnden Menschen verklagen.
Was ich nicht tun werde. Ich denke, sobald dieser Job der Vergangenheit angehört
und ein neuer gefunden wurde, werde ich nur durchatmen und vergessen.
Bis dato besteht meine Tagesaufgabe
darin, der Sekretärin Nachhilfe in Excel zu geben. Außer mir ist sie die einzige
Angestellte der thüringischen Niederlassung und macht auf mich einen mittelmäßig
verzweifelten Eindruck. Wahrscheinlich bekommt auch sie kein Gehalt und unser Chef
begründet es in ihrer mangelnden Sachkenntnis, die man – nebenbei bemerkt – beim
Vorstellungsgespräch hätte ausschließen können.
Nachdem ich die Frau in den Grundlagen
von Excel unterrichtet und ihr die wichtigsten Funktionen erläutert habe, mache
ich mich auf den Heimweg. Dies nicht ohne einen erneuten Stopp im Büro des Chefs,
um ihn wissen zu lassen, dass seine Sekretärin sich nun bestens mit besagtem Programm
auskennt.
»Im Übrigen meldet mein Bankkonto
inzwischen ein Minus«, füge ich mutig und so freundlich es eben geht hinzu.
Er reagiert nicht einmal annähernd
schuldbewusst. »Na so was«, wundert er sich. »Die Zahlung wurde doch bereits veranlasst
und müsste längst verbucht sein.«
Mich wundert überhaupt nichts mehr.
Über eine tückische Bodenfalle bin ich aus dem Wunderland zurückgekehrt und renne
nun dem Karnickel mit der tickenden Uhr hinterher.
Am Abend grase ich das Internet erfolglos nach Jobs ab, backe mir eine
Pizza auf und verkrümele mich mit einem Buch ins Wohnzimmer. Ich bin keine Leseratte,
doch hätte ich Lust, eine zu werden, würde ich endlich das richtige Genre für mich
entdecken.
Den Wälzer klappe ich nach nicht
einmal 50 Seiten zu, raffe ich mich auf und starte erneut den PC. Dieses Mal geht
es direkt in den Chat, wo ich etwa eine Stunde damit zubringe, die wenig anspruchsvollen
Diskussionen kommender und gehender Teilnehmer im Hauptfenster zu belächeln.
Irgendwann
lese ich nicht mal mehr mit. Das Bild verschwimmt bereits vor meinen Augen, da poppt
ein Gesprächsfenster auf.
›Noch wach?‹,
schreibt der Inseltaucher und in meinem Bauch macht sich ein mulmiges Gefühl breit.
›Nicht mehr
wirklich‹, antworte ich. ›Es gab schon aufregendere Abende.‹
›Zum Beispiel?‹
›Eine Beach Party auf Rügen bei
strömendem Regen. Eine Eskorte von der amerikanischen Polizei, nachdem ich wegen
Raserei angehalten wurde und keinen Führerschein dabeihatte. Eine nächtliche Fahrt
auf einer total leeren Autobahn. Ein Pearl-Jam-Konzert.‹
›Du bist aber anspruchsvoll.‹
›Nö, bloß ein bisschen von mir selbst
gelangweilt.‹
›Das geht vorüber. Pearl Jam sind
klasse.‹
›Wow, sag nur, du kennst Pearl Jam?‹
›Sagte ich ja gerade. Sie sind klasse.
Aber die Chili Peppers sind besser.‹
›Kein Vergleich. Die machen ganz
andere
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