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Tausend strahlende Sonnen

Tausend strahlende Sonnen

Titel: Tausend strahlende Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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»Wegen der Wölfe. Das Bergland, in dem ich wohne, hat ausgedehnte Wälder, vor allem aus Kiefern, aber auch Fichten und Zedern. Da halten sie sich meist auf, aber frei laufende Ziegen locken sie auch ins Freie. Darum das Gehege.«
    Laila wollte mehr über dieses Bergland wissen.
    »Pir Panjal. Pakistan«, sagte er. »Rund zwei Stunden von Islamabad entfernt. Der Ort, an dem ich wohne, heißt Murree und zieht im Sommer viele Urlauber an, denn er ist hoch gelegen und hat, weil grün und luftig, ein wohltuend kühles Klima. Perfekt für den Tourismus.«
    Die in Rawalpindi stationierten Briten, so erklärte er, hätten dort einen Vorposten eingerichtet, wohin sie sich vor der Hitze im Flachland zurückziehen konnten. Aus der Kolonialzeit sei noch einiges erhalten geblieben, sagte Tarik, zum Beispiel die Holzhäuser, Bungalows mit Blechdächern, sogenannte Cottages, und dergleichen mehr. Die Stadt selbst sei klein und angenehm. An der Hauptstraße, der sogenannten Mall, gebe es ein Postamt, einen Basar, ein paar Restaurants und Geschäfte, in denen Touristen überteuerte Nippes aus bemaltem Glas und handgeknüpfte Teppiche kauften. Verrückterweise sei diese Mall eine Einbahnstraße, auf der der Verkehr in der einen Woche von links nach rechts und in der anderen in umgekehrter Richtung geführt werde.
    »Die Einheimischen behaupten, dass es in vielen irischen Ortschaften ähnlich zugeht«, sagte Tarik. »Keine Ahnung. Aber wie dem auch sei, es ist sehr nett dort. Ziemlich einfach, aber mir gefällt’s. Ich wohne gern in Murree.«
    »Mit deiner Ziege. Mit Alyona.«
    Laila wollte mit dem, was unbeabsichtigterweise wie ein Scherz klang, eigentlich in Erfahrung bringen, ob er sich außer der Ziege auch noch um andere Sorgen machen musste. Aber Tarik nickte nur mit dem Kopf.
    »Auch um deine Eltern tut’s mir leid«, sagte er.
    »Du hast davon gehört?«
    »Ich hatte schon Gelegenheit, mit Nachbarn zu sprechen«, erwiderte er, und Laila fragte sich, was er sonst noch von denen erfahren haben mochte. »Von damals habe ich niemanden wiedererkannt.«
    »Sie sind alle fort. Es ist keiner mehr da, den du kennen könntest.«
    »Auch Kabul ist nicht wiederzuerkennen.«
    »Für mich auch nicht«, sagte Laila. »Dabei bin ich nie weg gewesen.«
    »Mami hat einen neuen Freund«, sagte Zalmai nach dem Abendessen. »Einen Mann.«
    Raschid blickte auf. »Ach ja?«
    Tarik fragte, ob er rauchen dürfe.
    Er erzählte, dass er eine Zeit lang im Flüchtlingslager Nasir Bagh bei Peschawar zugebracht habe, unter sechzigtausend Afghanen, die sich dort bereits aufhielten, als er mit seinen Eltern angekommen sei.
    »Es war da nicht so schlimm wie in manchen anderen Lagern, wie zum Beispiel in Jalozai«, sagte er und streifte Zigarettenasche auf einem Unterteller ab. »Während des kalten Krieges war es sogar ein Musterlager, auf das der Westen immer verwies, wenn es darum ging, der Welt zu beweisen, dass man nicht nur Waffen nach Afghanistan schmuggelte.«
    Doch das sei noch zur Zeit des sowjetischen Krieges gewesen, in den Tagen des Dschihad, der weltweit Interesse erregt, für großzügige Spenden gesorgt und zu mehreren Staatsbesuchen von Margaret Thatcher geführt habe.
    »Den Rest kennst du ja, Laila. Nach dem Krieg ist die Sowjetunion auseinandergefallen, und der Westen hat sich zurückgezogen. Für den Westen stand in Afghanistan nichts mehr auf dem Spiel. Also blieb auch finanzielle Hilfe aus. Nasir Bagh ist jetzt eine Wüste aus Zelten und offenen Abwasserkanälen. Einmal am Tag gibt es was zu essen. Als wir dort angekommen sind, hat man uns eine Stange und eine Zeltplane gegeben, mit denen wir uns dann selbst behelfen mussten.«
    Tarik und seine Eltern hatten ein ganzes Jahr im Lager zugebracht. Wenn er sich an Nasir Bagh zu erinnern versuche, sagte er, komme ihm vor allem die Farbe Braun in den Sinn. »Braune Zelte. Braune Menschen. Braune Hunde. Brauner Brei.«
    Tag für Tag war er auf einen abgestorbenen Baum geklettert, hatte sich auf einen Ast gesetzt und die Flüchtlinge beobachtet, die mit schwärenden Wunden und amputierten Gliedmaßen ungeschützt in der Sonne lagen. Er sah kleine ausgehungerte Jungen in Benzinkanistern Wasser schleppen, Hundekot einsammeln, um Feuer damit zu machen, mit stumpfen Messern aus Holzstücken Spielzeuggewehre schnitzen und Säcke voller Mehl, das zum Brotbacken völlig ungeeignet war, über den Boden schleifen. Ständig ging ein Wind durchs Lager, der an den Zelten rüttelte, Staub und welkes

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