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Tausend strahlende Sonnen

Tausend strahlende Sonnen

Titel: Tausend strahlende Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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Unkraut aufwirbelte, aber auch bunte Drachen über dem ansonsten trostlosen Ort am Himmel tanzen ließ.
    Jede Woche sei mindestens einer gestorben, sagte er, meist ein Kind.
    »Die Kinder hatten besonders zu leiden. Ruhr, Tb, Hunger, was auch immer. Vor allem die verdammte Ruhr. Himmel, Laila. Wie oft ich da gesehen habe, wie Kinder begraben wurden. Etwas Schlimmeres kann man sich nicht vorstellen.«
    Er schlug die Beine übereinander. Es blieb für eine Weile still zwischen ihnen.
    »Mein Vater hat den ersten Winter nicht überlebt. Er starb im Schlaf. Ich glaube, er hat kaum Schmerzen gehabt.«
    Im selben Winter sei seine Mutter an einer Lungenentzündung erkrankt, an der sie bestimmt gestorben wäre, hätte ihr nicht ein Arzt aus einem UNHCR-Camp geholfen, der mit einem zu einer mobilen Klinik umgebauten Lieferwagen ins Lager kam. Sie habe nächtelang wach gelegen, hohes Fieber gehabt, schrecklich gehustet und rostfarbenen Schleim ausgeworfen. Die Patienten hätten vor der mobilen Klinik Schlange gestanden, sagte er, zitternde, stöhnende und hustende Menschen; manchen sei der Durchfall an den Beinen heruntergelaufen, andere hätten vor lauter Mattigkeit und Hunger kein Wort mehr herausgebracht.
    »Aber er war ein guter Mann, dieser UNHCR-Arzt. Er hat meine Mutter behandelt, ihr Medikamente gegeben und über den Winter geholfen.«
    In diesem Winter habe er einen Jungen überfallen, gestand Tarik.
    »Zwölf, vielleicht dreizehn Jahre alt«, sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich habe ihm eine Glasscherbe an den Hals gedrückt und seine Wolldecke abgenommen, um sie meiner Mutter zu geben.«
    Nach der überstandenen Krankheit seiner Mutter hatte er gelobt, keinen weiteren Winter in dem Lager zu verbringen, und den Entschluss gefasst, eine Arbeit anzunehmen und Geld zu sparen, um dann mit ihr in Peschawar eine Wohnung mit Heizung und fließendem Wasser zu beziehen. Als der Frühling kam, suchte er nach Arbeit. Von Zeit zu Zeit kam frühmorgens ein Lastwagen ins Lager, sammelte zwanzig bis dreißig junge Burschen ein und lieferte sie an einem Ort ab, wo es etwas für sie zu tun gab: ein Feld, das von Steinen befreit werden sollte, oder eine Obstplantage, auf der Äpfel zu pflücken waren. Zum Lohn dafür bekamen sie ein wenig Geld, manchmal auch nur eine Decke oder ein Paar Schuhe. Ihn aber habe niemand gewollt, sagte er.
    »Ein Blick auf mein Bein, und das war’s dann.«
    Es gab noch andere Jobs. Gräben ausheben, Hütten bauen, Wasser schleppen oder Sickergruben leeren. Die jungen Männer rissen sich um solche Verdienstmöglichkeiten, und Tarik ging immer leer aus.
    Im Herbst 1993 lernte er dann einen Geschäftsmann kennen.
    »Ich sollte für ihn einen Ledermantel nach Lahore bringen, wofür er mir Geld anbot, nicht viel, aber genug, um eine Wohnung für einen, vielleicht sogar zwei Monate anmieten zu können.«
    Der Geschäftsmann habe ihm einen Busfahrschein gegeben und die Adresse einer Straßenecke nahe der Eisenbahnstation von Lahore, wo er den Mantel einem Freund seines Auftraggebers übergeben sollte.
    »Ich ahnte natürlich, dass an der Sache was faul ist. Ich wusste es«, gestand er. »Er sagte, dass ich ganz allein auf mich gestellt sein würde, wenn man mich erwischte, und ich solle immer daran denken, dass er wisse, wo meine Mutter zu finden sei. Aber ich habe dem Geld nicht widerstehen können. Und es war bald wieder Winter.«
    »Wie weit bist du gekommen?«, fragte Laila.
    »Nicht sehr weit«, sagte Tarik und lachte verschämt. »Noch nicht einmal bis in den Bus. Aber ich hielt mich für immun, verstehst du? Ich dachte, mir kann nichts passieren. Als gäbe es da oben einen, der Buch führt, einen netten alten Mann mit Bleistift hinterm Ohr, der alles aufrechnet und Bilanz zieht, der auf mich herabschaut und sagt: ›Was soll’s, das lassen wir ihm durchgehen. Er musste schon sein Teil bezahlen und hat was gut.‹«
    Das Haschisch war im Saum versteckt und fiel auf die Straße, als die Polizei mit einem Messer Nachforschungen anstellte.
    Tarik lachte wieder, als er das sagte. Es war ein aufsteigendes, zittriges Lachen, das Laila noch von früher kannte und das immer dann von ihm zu hören gewesen war, wenn er versucht hatte, eine Dummheit wiedergutzumachen.
    »Er hinkt«, sagte Zalmai.
    »Ist es der, von dem ich glaube, dass er’s ist?«
    »Er war nur zu Besuch«, antwortete Mariam.
    »Du hältst dich da raus«, blaffte Raschid und drohte mit dem Finger. Und an Laila gewandt: »Na, wie

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