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Tausend strahlende Sonnen

Tausend strahlende Sonnen

Titel: Tausend strahlende Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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Mund war wie ausgetrocknet. Sie stammelte unzusammenhängende Worte vor sich hin und wagte es nicht, Raschid anzusehen, die klaffende Mundöffnung, die aufgerissenen Augen und das am Boden gerinnende Blut.
    Draußen ging die Sonne unter; Schatten legten sich über den Hof. Im Halbdunkel wirkte Mariam verschwindend klein. Sie war abgespannt, zeigte aber keinerlei Erregung oder Furcht. Sie schien in Gedanken versunken und weit entrückt. Als sich ihr eine Fliege aufs Kinn setzte, schenkte sie ihr keine Beachtung. Die Unterlippe war nach vorn geschoben, wie immer, wenn sie grübelte.
    Schließlich sagte sie: »Setz dich, Laila jo .«
    Laila gehorchte.
    »Wir müssen ihn fortschaffen. Zalmai soll ihn so nicht sehen.«
    Mariam zog Raschid den Schlüssel zum Schlafzimmer aus der Tasche, bevor sie ihn mit Lailas Hilfe in ein Bettlaken einwickelte. Laila packte ihn bei den Kniekehlen, während Mariam die Arme unter seine Achseln schlang. Sie versuchten, ihn anzuheben, doch er war zu schwer, und so mussten sie ihn über den Boden schleifen. Als sie die Haustür passierten, blieb sein Fuß am Pfosten hängen, und sein Bein knickte zur Seite weg. Bei dem Versuch, den Leichnam über die Schwelle zu zerren, war oben ein Klopfen an der Schlafzimmertür zu hören. Lailas Knie wurden weich. Sie ließ Raschid fallen und ging schluchzend und zitternd zu Boden. Mariam stand über ihr, die Hände in die Hüften gestemmt, und sagte, dass sie sich zusammenreißen müsse. Was geschehen sei, sei geschehen.
    Laila stand auf und wischte sich das Gesicht. Mit vereinten Kräften hievten die beiden Frauen Raschid über den Hof und versteckten ihn im Schuppen hinter der Werkbank, auf der seine Säge, ein paar Nägel, ein Stechbeitel, ein Hammer und ein zylindrischer Holzblock lagen, aus dem Raschid ein Spielzeug für Zalmai hatte schnitzen wollen, wozu er aber nicht gekommen war.
    Die beiden gingen ins Haus zurück. Mariam wusch sich die Hände, fuhr mit den Fingern durchs Haar und holte tief Luft. »Lass dich jetzt verarzten. Du bist übel zugerichtet, Laila jo .«
    Mariam sagte, sie müsse die Nacht über in sich gehen, ihre Gedanken sortieren und einen Plan fassen.
    »Es gibt einen Ausweg«, murmelte sie. »Ich muss ihn nur finden.«
    »Wir müssen fort. Wir können hier nicht bleiben«, entgegnete Laila mit gebrochener, heiserer Stimme. Sie stellte sich vor, wie es geklungen haben mochte, als die Schaufel auf seinem Kopf aufgetroffen war, und ihr drehte sich der Magen um.
    Mariam wartete geduldig, bis es Laila wieder besser ging. Sie legte Lailas Kopf auf ihren Schoß, streichelte ihre Haare und sagte, sie solle sich keine Sorgen machen; alles werde gut werden. Sie stellte ihr in Aussicht, gemeinsam aufzubrechen, sie, Laila, die Kinder und auch Tarik. Sie würden dieses Haus, diese unversöhnliche Stadt und das elende Land hinter sich zurücklassen, versprach sie, und einen fernen, sicheren Ort aufsuchen, wo man sie nicht fände, wo sie mit ihrer Vergangenheit abschließen könnten und geborgen wären.
    »Es wird dort Bäume geben«, sagte sie. »Ja, viele Bäume.«
    Sie würden in einem kleinen Haus am Rand einer Stadt leben, von der sie noch nie gehört hätten, sagte Mariam; in einer entlegenen Ortschaft, durch die zwar nur eine enge, ungepflasterte Straße führe, doch sei diese von vielen verschiedenen Pflanzen und Sträuchern gesäumt. Vielleicht gebe es dort grüne Weiden, auf denen die Kinder spielen könnten, oder sogar einen klaren blauen See voller Forellen und mit Schilf an den Ufern. Sie würden Schafe und Hühner halten, gemeinsam Brot backen und den Kindern Lesen und Schreiben beibringen. Sie würden ein neues Leben beginnen, ein friedliches, abgeschiedenes Leben, befreit von aller erlittenen Not und beschenkt mit Glück und bescheidenem Wohlstand.
    Laila stimmte ihr murmelnd zu. Es würde, wie sie voraussah, ein Leben voller Schwierigkeiten sein, die aber mit Freude und Stolz angenommen und wertgeschätzt werden könnten wie ein Familienerbe. Mariam sprach ihr mit sanfter, mütterlicher Stimme weiter Trost zu. »Es gibt einen Weg«, sagte sie, und morgen früh wolle sie erklären, was zu tun sei; vielleicht würden sie morgen um diese Zeit schon aufgebrochen sein und dieses neue Leben begonnen haben, ein Leben voller Möglichkeiten, Freude und willkommenen Schwierigkeiten. Laila war dankbar dafür, dass Mariam die Initiative übernommen hatte und sich im Stande wähnte, mit nüchtern klarem Blick für beide zu planen. Sie

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