Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
zurückzubehalten. Dieses hatte ich dazu ersehen; bei deiner überraschenden Ankunft habe ich es schlachten lassen, dieweil wir nichts zu deiner Bewirtung da hatten, und es hat dir zur Speise gedient; die Dunkelheit und das wilde Wetter hinderten mich, meine Hammel holen zu lassen, die auf ziemlich entfernten Triften weiden.« Alsobald ließ Hatem die edelsten Rosse holen und bat den Abgesandten, sie seinem Herrn zu überbringen. Der Kaiser konnte nicht umhin, den außergewöhnlichen Zug von Hatems Großmut zu bewundern, und stimmte zu, daß er in Wahrheit den Titel des freigebigsten aller Menschen verdiente.
Es war Hatems Los, den Neid aller Herrscher zu erwecken. Den König Nuuman des glücklichen Arabiens erfaßte die heftigste Eifersucht gegen ihn; der Fürst rühmte sich seiner Großmut, die im Grunde nur eitles Prahlen war. Er ließ mit Gepränge im ganzen Morgenland verkünden, daß alle, die eine Gunst wünschten, sich am Fuße seines Throns einfinden sollten, und sann nur darauf, Hatem an Edelmut zu übertreffen. Er hätte am liebsten gewünscht, den Namen des verhaßten Rivalen aus dem Gedächtnis der Menschen zu streichen; aber eine unübersehbare Menge wiederholte den Namen dieses Wohltäters des Menschengeschlechts und verbreitete seinen Ruhm. Nuuman begehrte auf: »Wie kann man einen Araber mit mir in gleichem Atemzuge nennen, der weder Zepter hat noch Krone und der in der Wüste irrt?« Seine Eifersucht wuchs unaufhaltsam; er glaubte ihn leichter verderben als übertreffen zu können.
Es gab an Nuumans Hofe einen von den Großen, die sich für die Grillen der Fürsten verkaufen und bereit sind, alles zu unternehmen, um alles zu erlangen. Ihn wählte der König aus, um ihn zum Werkzeug eines großen Verbrechens zu machen. Er sprach zu ihm: »Mache dich auf; befreie mich von einem Menschen, den ich verabscheue, und rechne auf einen Lohn, welcher dem Dienste gleichsteht, den du mir leisten sollst.«
Der gierige Abgesandte jagte davon und kam in die Wüste, wo die Araber lagerten. Er erinnerte sich nicht, Hatem jemals gesehen zu haben, und suchte nach Mitteln, ihn kennenzulernen, ohne seinen Plan durchschimmern zu lassen. Als er ganz in Gedanken versunken war, näherte sich ihm ein Mann von liebenswürdiger Gestalt und lud ihn ein, in sein Zelt einzutreten. Er willigte darein und war begeistert von der Höflichkeit, die ihm zuteil wurde; nach dem glänzenden Mahle wollte er sich von seinem Wirte beurlauben; der Araber bestürmte ihn, einige Tage bei ihm zuzubringen. »O edelmütiger Unbekannter,« entgegnete ihm des Königs Gesandter, »ich bin beschämt ob der Behandlung, die du mir zuteil werden läßt, doch ein Geschäft von dringender Wichtigkeit zwingt mich, dich zu verlassen!« Der Araber erwiderte: »Ist es nicht möglich, daß du mir einen Teil dieses Geschäftes überträgst, das dich so lebhaft zu beschäftigen scheint? Du bist fremd in diesen Gegenden, vielleicht kann ich dir nützlich sein!«
Nachdem der Abgesandte zur Einsicht gekommen war, daß er sein Unternehmen nicht allein zum Ziele bringen könnte, beschloß er das liebenswürdige und dienstbereite Anerbieten seines Wirtes anzunehmen.
Er sprach zu ihm: »Aus dem Vertrauen, das ich zu dir hege, kannst du auf die Wichtigkeit des Geheimnisses schließen, das ich dir offenbaren will. Wisse, daß Hatem durch Nuuman, dem Könige Arabiens, dem Tode geweiht ist. Dieser Herrscher, dessen Günstling ich bin, hat mich zum Werkzeuge seiner Rache erwählt; aber wie soll ich, der ich Hatem nie gesehen habe, seine Befehle ausführen? Zeige mir ihn und füge diese Wohltat denen zu, mit welchen du mich bereits überhäuft hast!« »Ich versprach es, dir zu dienen,« hub der Araber an, »du sollst sehen, ob ich der Sklave meines Wortes bin. Stoße zu,«fuhr er fort, indem er die Brust entblößte, »vergieße mein Blut, auf daß mein Tod deinen Fürsten, der ihn wünscht, zufriedenstellt und du die Belohnung erhältst, die du erhoffst. Schließlich muß ich dir sagen, daß die Augenblicke kostbar sind, zögere nicht länger, die Befehle deines Königs auszuführen, und brich schnell auf. Die Dunkelheit wird dich der Rache meiner Freunde und meiner Verwandten entziehen. Wenn dich der morgige Tag an diesen Orten überrascht, bist du verloren!«
Diese Worte trafen den Abgesandten wie ein Blitz aus heiterm Himmel. Durchdrungen von der Schwärze seines Verbrechens und von der Hochherzigkeit dessen, der mit ihm sprach, fiel er vor ihm auf die Knie:
Weitere Kostenlose Bücher