Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
Menschenliebe und Großmut!« ›Da bin ich wahrlich in einer schönen Verlegenheit,‹ sagte der Mann zu sich selbst, ›gehe ich hin und helfe der Wesirstochter, bringt mich der Geist um mein Leben, gehe ich aber nicht hin, läßt mich der Sultan des Todes sterben!‹ Schließlich machte er sich auf nach dem Wesirspalaste und wurde dort in den Harem geleitet, allwo er den Geist in der Gestalt der Schlange um den Leib der unglücklichen Jungfrau geringelt sah. Als nun der Mann näher trat, flüsterte ihm der Geist mit gedämpfter Stimme zu: »Vergiltst du also meine Freundschaft?« Da antwortete ihm der Mann ebenso leise: »Ich will dich durchaus nicht veranlassen, deinen gegenwärtigen Aufenthaltsort aufzugeben, sondern dir einen Liebesdienst erweisen!« Da rief der Geist erzürnt: »Was für einen Liebesdienst?« Der Mann sprach weiter: »Die Frau, derentwegen wir unsere Wohnsitze aufgegeben haben, ist wieder aus dem Meere herausgekommen; schon weiß sie, wo wir stecken, ist hinter uns her und nähert sich bereits. Nur aus Freundschaft komme ich und bringe dir diese Nachricht!« Wie nun der Geist solches vernahm, wechselte er die Farbe, begann heftig zu zittern und wisperte mit zager Stimme: »O mein lieber Freund, wo weilt sie denn?« Da antwortete der Mann: »Sie wird augenblicklich hier sein!« »Wenn dem so ist,« sagte da der Geist, »dann lebe wohl, o Bruder, ich beurlaube mich und mache mich dünn!« Mit solchen Worten ließ er von der Wesirstochter ab und enteilte zur Minute.
Die Geschichte von dem geschlagenen Sultan
Eines Abends traf ein Sultan, der nach seiner Gewohnheit die Gassen seiner Hauptstadt, nur von seinem Wesire begleitet, durchwanderte, am Eingange eines Basars auf einen Mann von ehrwürdigem Aussehen. Der Fürst aber grüßte ihn höflich; und der Unbekannte, der nahe bei seiner Haustüre stand, erwiderte den Gruß und sprach: »Ich bitte dich und deinen Begleiter, in mein Haus zu kommen, habe die Freundlichkeit, o Herr, und nimm eine herzliche Einladung zum Nachtmahle bei mir an!« Ohne zu zögern, gingen der Sultan und sein Wesir mit, und der Fremde benahm sich sehr höflich gegen sie und erwies ihnen besondere Aufmerksamkeit. Reichlich wurde der Tisch besetzt und das Essen alsogleich aufgetragen, es bestand aber aus fünfhundert verschiedenen Schüsseln, und der Hausherr bat seine Gäste, Platz zu nehmen und seiner Bewirtung Folge zu leisten. Der Sultan war erstaunt ob der Üppigkeit und Verschwendung auf der Tafel; und wie er sah, daß außer ihm und seinem Wesire und ihrem Gastgeber niemand weiter zugegen war, sprach er also zu diesem: »O Herr, zweifelsohne hast du noch andere Gäste eingeladen!« Der Hausherr erwiderte: »Nein, ich habe niemanden eingeladen!« »Warum dann diese Verschwendung an Speisen?« fragte der Sultan darauf. »Wie verträgt sich solches mit der Lebensart eines Mannes deinesgleichen?«
Darauf versetzte der Gastgeber dem Sultan einen kräftigen Faustschlag, der ärger denn Feuer brannte, und sprach zu dem Fürsten: »O Freund, bist du denn gezwungen, all das aufzuessen? Iß, soviel du magst, und laß den Rest stehen!«
Der Sultan flüsterte nun dem Wesire zu: »Ich tat freilich unrecht, denn ich habe den Mann durch meine unbescheidene Frage gereizt, mich zu schlagen; doch bei Allah, wenn du kein Mittel ersinnst, wie ich ihm den erhaltenen Hieb schicklich zurückgeben kann, soll es dich gewiß und wahrhaftig dein Leben kosten!« Darauf erwiderte der Wesir: »O Gebieter, du mußt ihn auf morgen zum Nachtmahl in deinen Palast laden und ihm ein Mahl anbieten, das dieses hier in jeder Beziehung an Pracht und Üppigkeit übertrifft, und wenn er es sich dann beifallen läßt, irgendeine Bemerkung darüber zu machen, so kannst du ihm dann den erhaltenen Hieb zurückzahlen!« Der Sultan befolgte aber den Rat seines Wesirs, der ihm zusagte, und lud den Unbekannten zu sich ein.
Etwas betroffen und verlegen trat der Mann andern Abends in den Sultanspalast ein; der Sultan nahm ihn nun freundlich und höflich auf, wodurch er sicherer wurde. Nach einiger Zeit wurde das Nachtmahl aufgetragen und die Tafel mit tausend Schüsseln bedeckt. Der Sultan setzte sich und forderte seinen Gast zum Niedersitzen auf, der aber tat es und sagte gefaßten und ruhigen Tones: »Allahs Wille geschehe! So muß es in der Tat sein; möge der Himmel immerdar die Fülle deiner Tafel segnen! Hier herrscht ein Überfluß von Gerichten, doch Überfluß ist etwas Schönes und ergötzt das Auge, ehe
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