Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
ein wenig besonnen hatte: ›Es ist wahr, daß ich solches bei mir hatte, aber mein Herz war rein, als ich es trug, wie der Morgentau; und ich trage es noch in diesem Augenblicke, wo ich mit dir rede, bei mir!‹ Alsobald zog er einen Ring von seiner Hand und sagte zu ihr: ›‹Die Fassung dieses Ringes enthält eines der stärksten Gifte; er ist ein Stück, das sich seit tausend Jahren in unserm Geschlechte von Vater auf Sohn vererbt; meine Ahnherren haben ihn immer getragen, um sich dem Zorne der Fürsten, denen sie gedient haben, entziehen zu können, falls es das Unglück wollte, daß sie bei der Ausübung des Wesiramtes in Ungnade fielen. Du kannst dir wohl denken,‹ fuhr er fort, ›daß ich es nicht vergaß, diesen Schatz mitzunehmen, als der König, ohne mich zu kennen, mich für dieses Amt ausersah, sintemal ich wohl weiß, wie viele Feinde sich gewöhnlich der Fremde verschafft. Der Schmerz, den mir Nurdschehans grausames Vorgehen verursacht, und die Schande, die er auf mich häufte, haben ihn mir noch wertvoller gemacht, weil ich nicht mehr lange zögern will, ihn zu benutzen!‹ Damake verlangte von ihm, daß er ein so trauriges Vorhaben wenigstens um einige Tage verschöbe, und bat ihn, ihre Nachrichten in seinem Palaste abzuwarten.
Sie machte Nurdschehan sofort von dem Gehörten Mitteilung. Der Fürst ersah aus ihrer Erzählung, daß Diafer keinen schwarzen Plan gehabt hatte und daß die Grausamkeit der Fürsten insgemein solches Mißtrauen nur allzusehr rechtfertigte, bereute, ihn so schlecht aufgenommen zu haben, und versprach Damake anderen Tages, den ihm bereiteten Kummer wieder gutzumachen. Sie billigte dieses Vorhaben; ehe sie ihn jedoch verließ, beschwor sie ihn, ihre Neugierde zu befriedigen, indem er ihr erzähle, wie er das Gift, das Diafer tatsächlich bei sich getragen, habe merken können. Nurdschehan antwortete ihr: ›Niemals würde ich etwas vor der Herrin meines Herzens verbergen: ich trage stets einen Armreif,‹ fuhr er fort, ›den mir mein Vater hinterlassen hat und der seit langem in unserer Familie ist, ohne daß ich den Namen des Weisen kenne, der ihn hergestellt hat, noch weiß, wie er in die Hände meiner Ahnen geraten ist. Er besteht aus einem Stoffe, welcher der Koralle sehr ähnelt, und hat die Eigenschaft, Gift selbst in ziemlicher Entfernung zu entdecken. Und er bewegt sich hastig und zittert, wenn etwas davon in seine Nähe kommt; und als Diafer auf mich zutrat, fehlte wenig daran und mein Armreif wäre zerbrochen, solch eine Stärke und Kraft hatte das Gift, das er bei sich trug. Ich hätte jedem anderen Menschen, der nicht von dir empfohlen war, den Kopf herunterschlagen lassen‹, fuhr er fort; ›und ich war um so überzeugter, daß Diafer gefährliches Gift bei sich trug, als der Armreif in Ruhe kam, sobald er sich aus dem Empfangsgemach entfernt hatte.‹ Nurdschehan zog ihn von seinem Arme und reichte ihn Damake. Sie betrachtete ihn mit sehr viel Aufmerksamkeit und sagte dann: ›Dieser Talisman, o Gebieter, ist wahrlich zweifelsohne bewundernswert, indessen beweist dir dieses Abenteuer, wie sehr sich die Machthaber vor Zufälligkeiten hüten müssen und wie wichtig es ist, daß sie nicht auf den ersten Schein hin urteilen!‹ Damake zog sich zurück, und Nurdschehan ordnete den größten Prunk und die prächtigsten Zurüstungen zu Diafers Empfange an, der am folgenden Tage statthaben sollte. Der Befehl wurde ausgeführt, und Nurdschehan empfing Diafer mit aller möglichen Gnade und sprach ihm sein herzlichstes Bedauern ob des Vorfalls aus. Dann reichte man ihm auf seinen Befehl ein goldenes Schreibzeug und Griffel und Papier. Alsobald schrieb Diafer in den schönsten Buchstaben die erhabensten Aussprüche über die Weise auf, in der ein Wesir sein Amt leiten muß. Nurdschehan aber bewunderte seine Gaben und ließ ihm das Wesirsgewand anlegen und erzählte ihm, um seinen Guttaten die Krone aufzusetzen, das Geheimnis seines Armreifes. Diafer redete dem Fürsten zu, ihn niemals abzulegen; und in der Freude, einen so kostbaren Schatz zu besitzen, fragte er seinen neuen Wesir, ob er glaube, daß man auf der Welt etwas Merkwürdigeres finden könnte. ›O erlauchter Fürst,‹ antwortete ihm Diafer, ›ich habe in der Stadt Diul ein anderes Wunder gesehen, das wahrlich weniger nützlich ist, aber was die Hohe der Kunst und des Wissens angeht, mit der es ein Weiser hergestellt hat, kann man es ihm vergleichen.‹ ›Was ist es,‹ antwortete Nurdschehan, ›es wird
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