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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonymer Verfasser
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und sieben verschiedene Tiere in sich vereinige und in unbewohnten Landstrichen hause.
    Der zweite wollte wissen, was das ist, dessen Kleid mit spitzen Messern bewaffnet ist und das ein schwarzes Kamisol und ein gelbes Leibchen trägt, dessen Mutter länger als hundert Jahre lebt, und das jedermann liebt.
    Der dritte bat sie, ihm den zu nennen, der nur ein Bein, ein Loch im Kopfe und einen Ledergürtel hat, der den Kopf erhebt und sich selbst quält, wenn man ihm die Haare ausreißt und ihm ins Gesicht speit; und der vierte fügte folgende Frage hinzu:
    ›Wer ist die Frau von über hundert Jahren, die alle Jahre mehr denn tausend Töchter gebiert; die doch nicht verheiratet ist und Gift speit, wenn sie den Mund öffnet, während ihren Töchtern Honig von den Lippen träufelt.‹
    Damake aber antwortete dem ersten, daß die Heuschrecke sieben Tiere in sich vereinige: dieweil sie einen Pferdekopf, einen Rinderhals, Adlerflügel, Kamelbeine, den Schwanz einer Schlange, Hirschhörner und den Bauch eines Skorpions habe.
    Die Schöne hatte etwas mehr Mühe, die Frage des zweiten zu beantworten; es gab sogar einen Augenblick, in dem die ganze Versammlung sie schon für besiegt hielt. Diese Meinung, die sie aus den Augen aller, die sie betrachteten, las, ließ sie erröten; dadurch wurde sie nur noch schöner, und Nurdschehan war fröhlich, als er den Weisen, der die Frage vorgelegt hatte, dem zustimmen sah, was sie mit ihrer gewöhnlichen Richtigkeit geantwortet hatte, indem sie sagte, daß es die Kastanie sei.
    Dem dritten entgegnete sie ohne weitere Überlegung: es wäre der Rocken; und es dauerte nicht lange, bis sie dem vierten versicherte, die Lösung seines Rätsels sei der Feigenbaum.
    So viele Kenntnisse, so viel Geistesgegenwart, verbunden mit so viel natürlicher Anmut, erzeugten eine solch große Verwirrung in den Gemütern, daß jedermann trotz der Ehrfurcht, die Nurdschehans Anwesenheit einflößen mußte, Freude und Bewunderung äußerte und vergnügt war, Zeuge eines so einzigartigen Auftrittes gewesen zu sein. Nun machte Damake ein Zeichen, daß sie ihrerseits jetzt auch sprechen wollte. Man gab Ruhe, und sie bat die Weisen, ihr sagen zu wollen, was süßer denn Honig sei. Die einen antworteten, das wäre die Befriedigung ihrer Wünsche, die andern das Gefühl der Dankbarkeit; wieder andere rieten auf das Vergnügen, Dienste erweisen zu können. Als Damake ihnen Zeit genug zur Antwort gelassen hatte, lobte sie alles, was sie anweisen und guten Gedanken ausgesprochen hatten, und endigte mit der Frage: ob sie sich täusche, wenn sie die Liebe einer Mutter zu ihrem Kinde für das allersüßeste auf der Welt erklärte ?
    Eine für eine Frau, die immer ihrer Pflichten eingedenk erscheinen muß, so bezeichnende Antwort und eine dabei auch so bescheiden ausgesprochene Auflösung gewannen ihr vollends alle Herzen. Aber Damake hatte keine andern Absichten bei dieser Gelegenheit, als die Gemüter für sich einzunehmen und die Guttaten zu rechtfertigen, mit denen Nurdschehan sie ehrte; und sie wollte einen Vorgang, den sie nicht zu wiederholen gedachte, zu seinem Höhepunkte führen. Sie ließ sich daher ein Saitenspiel bringen und sang und spielte nach den Weisen der Musik, die man Neva und Irak nennt, und beschloß ihren Gesang in der so bekannten Tonart von Zeaghiule, die zur großen Weise Khuscini gehört, mit dem folgenden Liede, das sie mit aller denkbaren Anmut begleitete:
    Ich bin nicht müde, den, den ich liebe, zu sehn;
    Wenn man mich von ihm trennte, würde ich sterben vor Schmerz.
    Mein Herz, mein Leib sind in Liebe zu ihm entbrannt und würden im Feuer der Trennung zunichte.
    Immerdar steht er vor meinen Augen, und immerdar ist sein Name auf meinen Lippen;
    Ich kann nicht leben ohne ihn; seine Liebe, sein Kummer sind der Quell und der Inhalt meines Trostes.
    Im Übermaße der Freude, die der wiederholte Erfolg eines geliebten Wesens hervorrufen kann, beurlaubte Nurdschehan, so schnell es ihm nur möglich war, die Versammlung, was freilich nicht ohne große Geschenke an die Weisen vor sich ging. Und als sich alle Welt zurückgezogen hatte, fiel er Damake zu Füßen und sprach zu ihr: ›Du bist die Fackel meines Herzens und das Leben meiner Seele, schiebe mein Glück nicht länger auf!‹ Die Schönheit des Lichts antwortete ihm, daß sie seiner noch nicht würdig sei. ›Was willst du mehr?‹ rief der verliebte Fürst aus. ›Du hast meinen ganzen Hof entzückt, du hast die Gelehrsamkeit unserer

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