Tausendundeine Wuestennacht
Schauer überlief Casey. War es Furcht? Erregung? Jetzt musste sie sich der Wirklichkeit der Wüste stellen. Raffa hatte sie gewarnt. Sie begaben sich auf gefährliches Gebiet, wo alles Mögliche passieren konnte. Aber sie hatte sich gut vorbereitet, vor dem Abflug in England einen Erste-Hilfe-Kurs belegt und konnte ein Funkgerät bedienen. Sie war zu allem bereit.
Außer zu reiten.
„Soll das ein Scherz sein?“, rief Casey, als Raffa den Jeep nach einstündiger Fahrt abstellte.
„In der Wüste scherze ich nicht“, versicherte er ihr. „Hier kann ein Scherz einen Menschen das Leben kosten.“
Einige A’Qabani standen bei einem Pferdetransporter, daneben waren im Schatten zwei Pferde angebunden. Von hier ab verlor der Weg sich in der Weite, vor ihnen erstreckte sich bis zum Horizont nackte Wüste. Ungläubig blickte Casey die staubige Piste entlang. Vor ihr lag ihre erste Wüstenexpedition – zu Pferde! Unsicher wandte sie sich Raffa zu, der sich ein langes schwarzes Tuch turbanartig um den Kopf wand.
„Das ist ein howlis “, erklärte er Casey und schlang sich die Enden über die Schulter. Nur einen Sehschlitz für die Augen hatte er frei gelassen. „Er schützt mein Gesicht vor der Sonne und Augen, Nase, Ohren und Mund vor Staub.“
Sie nickte nur. Damit sieht er wie ein gefährlicher Wüstenräuber aus, dachte sie.
Ihre Kehle fühlte sich trocken an, als Raffa auf die Pferde zuging und die Männer einen mit Vorräten beladenen Maulesel herbeiführten. Diese Wüstenexpedition schien das reinste Abenteuer zu werden!
Erwartung erfüllte Casey, gleichzeitig wurde ihr bang. Was bezweckte Raffa mit diesem Treck ins Ungewisse? Theoretisch hatte sie sich darauf vorbereitet, aber war sie dieser Expedition in die unbezähmbare Wüste mit einem unbezähmbaren Mann gewachsen?
Der Gedanke beunruhigte und erregte sie. Sie liebte Herausforderungen, aber Raffa war undurchsichtiger als alles, was sie über ihn gelesen hatte. Ein Mann wie er war ihr noch nie begegnet –, dennoch fühlte sie sich bei ihm sicher. Er würde sie beschützen …
„Kommen Sie?“, riss Raffa sie aus ihren Gedanken.
Er hielt ihren Maulesel am Zügel und blickte zu ihr herüber. Was mochte er denken?
Das Ungewisse, Unbekannte hatte sie stets gereizt. Jetzt brauchte sie nur zuzugreifen, und das Abenteuer begann –, falls sie den Mut dazu aufbrachte. Sie fürchtete sich ein wenig vor dem harmlos aussehenden Pony, das Raffa tätschelte. Als kleines Mädchen hatte sie einmal am Strand auf einem Maulesel gesessen …
„Kommen Sie, er beißt nicht“, ermutigte Raffa sie.
Na ja … zugegeben, das scheckige Grautier sah wirklich ganz friedlich aus. Es trug hübsches Geschirr und eine farbenfrohe Satteldecke, sodass sie nicht direkt auf seinem harten Rücken sitzen würde. Wenigstens musste sie Raffas Pferd nicht reiten – einen pechschwarzen, temperamentvoll aussehenden Hengst mit feurig blitzenden Augen. Das mächtige Tier schüttelte seine Mähne und scharrte ungeduldig mit den Hufen.
„Fertig?“, drängte Raffa. „Eine andere Möglichkeit, ans Ziel zu gelangen, gibt es nicht.“
Dennoch wäre Casey am liebsten zu Fuß gegangen.
„Wenn Sie sich nicht beeilen, setze ich Sie auf das Pony und binde Ihren Rucksack aufs Pferd.“
Na dann – los. Tief durchatmen. Sie würde reiten. So schlimm konnte es nicht werden.
Es wurde ziemlich schlimm.
Nach einem stundenlangen holprigen Ritt rutschte Casey nur noch steif vom Pferd, sobald sie am Ziel waren. Vor ihnen lag eine Oase, um die sich eine Art Zeltstadt gebildet hatte.
Casey blieb, wo sie gelandet war, legte die Arme um ihre Knie und litt still vor sich hin. Alle ihre Glieder schmerzten, matt betrachtete sie ihre Umgebung, während Raffa seinen howlis abwickelte.
Sie befanden sich auf einer Sanddüne, von der sie auf sich endlos hinziehende gelbrötliche Wüstenkämme blickten. Mitten auf der Hochebene schimmerte, gesäumt von schattigem Grün, ein bläulicher See. Die Oase war nicht nur die Lebensader umherziehender Stämme, sondern auch wilder Tiere. Casey entdeckte Wüstengazellen, die im schwächer werdenden Abendlicht mutig wurden und sich vorsichtig der Tränke näherten.
Gebannt von dem Anblick, rollte Casey sich auf den Bauch und beobachtete die zartgliedrigen Wesen, dabei vergaß sie, wie schrecklich sie sich fühlte. Es war aber auch ein verzaubernder Anblick, wie die scheuen Tiere sich näher wagten, während der Horizont noch einmal rot aufflammte.
„Aufstehen,
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