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Taxi

Titel: Taxi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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stand ich endgültig auf, um wenigstens noch die Staatsoper mitzunehmen. Dietrich ging mit mir hinaus, und wir stiegen in unsere Taxis und fuhren los. Die ganze Nacht über tauchte Dietrich immer wieder an den Posten auf, an denen ich gerade stand – jedes Mal –, und ich bekam ein bisschen Angst. Ich wusste nicht, wie ich ihm sagen sollte, dass es das schon gewesen war. Dass ich entweder am ersten Abend mit jemandem ins Bett ging oder gar nicht. Ich hatte noch nie einen festen Freund gehabt, und ich wollte auch keinen. Mir wurde schon schlecht, wenn ich nur daran dachte. Erst rückten einem die Leute auf die Pelle, und dann überschwemmten sie einen mit ihren Erwartungen. Ich kam nicht dagegen an. Straßenbettler witterten das und wählten selbst im dichtesten Gewühl immer zielstrebig mich aus, um mir eine Mark nach der anderen abzuknöpfen. Und wenn ich zu lange mit jemandem zu tun hatte, wurde ich zu dem, was derjenige von mir erwartete, und von dem, was ich eigentlich war, blieb bloß eine kleine verschrumpelte Mumie übrig, so klein, dass man sie in einem ausgewaschenen Marmeladenglas aufbewahren konnte. Ich hatte ja sogar in einer Versicherung gearbeitet, bloß weil meine Eltern es sich so sehr gewünscht hatten. Wie gesagt – ich wollte auf gar keinen Fall einen Freund. Das durfte einfach nicht passieren.
10
    Irgendwie gingen alle davon aus, dass ich mit Dietrich zusammen war. Besonders Dietrich. Ich konnte die Sache nicht klären, ohne ihn zu kränken. Das Beste wäre gewesen, ich hätte Firma und Funk gewechselt und mich rar gemacht. Aber dazu hätte ich ja ein Minimum an Flexibilität besitzen müssen. Wenn ich die Firma gewechselt hätte, hätte ich einen anderen Mercedes mit einer anderen Funknummer fahren müssen, es hätte völlig andere Funkrituale gegeben, und ich hätte erst wieder lernen müssen, an welchen Posten der neue Funk die meisten Touren aufrief. Eine grauenhafte Vorstellung. Also ging ich lieber mit Dietrich ins Bett. Zwei-, dreimal die Woche übernachtete ich bei ihm, und manchmal schliefen wir dann auch miteinander, aber die meiste Zeit waren wir viel zu kaputt dafür. Ich arbeitete jetzt oft vierzehn bis sechzehn Stunden am Stück. Mein Tagfahrer hatte die Firma gewechselt. Die Fluktuation im Taxenbetrieb Mergolan war hoch, Ersatz war nicht immer zu kriegen, und wenn keiner tagsüber fuhr, arbeitete ich halt ein paar Stunden länger. Manchmal war ich nach einer Schicht so fertig, dass mir beim Aussteigen die Knie zitterten. Wenn ich dann zu Dietrich kam, schlief er schon, und ich schaffte es gerade noch, mir die Kontaktlinsen aus den Augen zu pulen und die Zähne zu putzen, dann fiel ich wie ein Stein ins Bett. Im Grunde war mit jemandem zusammen zu sein nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Wenn ich nicht schlief, arbeitete ich ja ständig.
11
    Es gab vieles, was mir am Taxifahren gefiel: die ganze Nacht aufbleiben, unverantwortlich schnell und unangeschnallt Auto fahren und dabei wilde und merkwürdige Musik in den Spätprogrammen der Radiosender hören, die Busspur benutzen, wenn alle anderen Autos im Stau standen, jede Nacht in Bordelle eindringen, in übel beleumdete Hafenkaschemmen, und gleich danach Herrn und Frau Pfeffersack vom Atlantik Hotel oder aus dem Fischereihafenrestaurant abholen. Aber was mir am besten gefiel, war das Geld. Kein Scheck der Welt, kein Kontoauszug am Ende des Monats konnte es mit richtigem Bargeld aufnehmen: klebrige Münzen, die noch lauwarm aus einer Hosentasche in meine Hand wanderten, blutbeflecktes, zerknülltes und mit Zahlen bekritzeltes Papiergeld, glattgestrichen auf einem abgewetzten Cordhosen-Oberschenkel. Es klimperte, knisterte, und erstaunlicherweise stank es sogar. Gierig griff ich nach den schmuddeligen Scheinen, stopfte sie in mein großes schwarzes Kellnerportemonnaie und rührte mit dem Zeigefinger im Münzfach, um dem Fahrgast Gelegenheit zu geben, »stimmt so« zu sagen. Nie wusste man vorher, was man am Ende einer Nacht verdient haben würde. Es hing von so vielem ab, vom Wetter, von der Jahreszeit, dem Wochentag, vom Glück hing es natürlich ab, oder davon, ob gerade die Fressmesse Internorga lief. Aber auch von der eigenen Cleverness und dem Instinkt. Es gab Taxifahrer, die dreimal so viel verdienten wie andere. Ich lag im guten Mittelfeld. Hundert bis hundertfünfzig Mark blieben fast immer für mich übrig. Aber es gab auch Nächte, die völlig schiefgingen. Und irgendwann passierte es tatsächlich, und man erwischte

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