Taxi
wohnst, ist das praktisch so, als wenn du bei mir einziehst. Was ist, wenn wir uns wieder trennen? Außerdem habe ich die Wohnung schon einem Freund versprochen.«
Ich sah das Problem nicht. Natürlich würden wir uns trennen. Wir waren ja eh schon viel zu lange zusammen. Ich musste nur noch die richtige Gelegenheit finden, es Dietrich beizubringen. Dieser Mistkerl. Die Wohnung war vielleicht meine einzige Chance, jemals aus der Gartenlaube herauszukommen. Er hätte seinen Vermieter für mich fragen können, und jetzt wollte er die Wohnung lieber einem Freund geben.
Drei Wochen später fragte Dietrich, ob ich die Wohnung immer noch haben wollte. Sein Freund war plötzlich wieder abgesprungen, weil er einen Job in Berlin angeboten bekommen hatte.
Kurz darauf zog ich aus dem Gartenhaus aus. Mein Bruder war hocherfreut, jetzt die ganze Laube allein zu bewohnen. Viel nahm ich nicht mit, eigentlich nur einen Schrank, das Bett, die Gitarre und die AffenBücher.
»Und die Wäsche«, sagte meine Mutter, »denk daran, mir deine Wäsche zu bringen. Du kriegst es selbst ja doch nicht so hin.«
15
Ich stand an zweiter Position am Karl-Muck-Platz. Vor mir war nur noch Rüdigers Taxi. Ich stieg aus und setzte mich zu ihm. Rüdiger las diesmal in einem kleinen blauen Buch. Irgendetwas von Nietzsche. Mit einem Bleistift schrieb er Anmerkungen an den Rand. Als ich einstieg, schob er mit dem Stift seine Mütze aus der runden Stirn.
»Jetzt bist du also unter Dietrich eingezogen, hör ich. Du weißt, dass Dietrich mein bester Freund ist? Wir kennen uns schon ewig.«
Das war mir bekannt. Rüdiger und Dietrich und Udo-Zwonullfünf waren alle auf dieselbe Schule gegangen. Bloß Taximörder und Udo-Dreidoppelsieben waren erst später dazugestoßen.
»Allerdings ist Dietrich nicht ganz einfach zu verstehen«, fuhr Rüdiger fort. Ein Autoscheinwerfer ließ seine Zahnklammer aufblitzen. »Für eine Frau ist es ja sowieso schwer, den Charakter eines Mannes zu begreifen, dazu m-m-müsste sie sich ja auf das Geistige einlassen, also auf Männliches, auf eine genuin männliche Sichtweise der Dinge, und damit würde sie sich ja selbst den Boden unter den Füßen wegziehen. Der ganze Feminismus, wie er sich gemeinhin darstellt, ist ja ein Maskulinismus, eine frauen-f-feindliche Ideologie, die die Emanzipation vom Weiblichen propagiert. Dass die Emanzen das nicht selber spüren, nicht fühlen, zeigt nur, wie weit sie sich von ihrer Weiblichkeit entfremdet haben …«
»Jetzt mach aber mal ’nen Punkt«, sagte ich. »Willst du hier als Fachmann in Fragen Weiblichkeit auftreten, oder was?«
»Jeder Mensch ist ja immer beides«, rief Rüdiger aufgekratzt, »immer auch das andere. Niemand ist ganz Mann oder ganz Frau, wie schon Weininger ausgeführt hat. Es ist immer ein Mehr-oder-weniger, nie ein Entweder-oder. Wir b-beide sind uns übrigens unheimlich ähnlich. Da brauchst du gar nicht so zu schauen. Ich glaube nicht, dass du noch mal jemanden finden wirst, der dich und die Not, in die dich deine Weiblichkeit stürzt, so vollkommen verstehen kann. Es ist ein Fluch, eine Frau zu sein, also auf ewig das Fleisch zu sein, der Hemmschuh für die Geistwerdung des Mannes …«
Rüdiger redete sich in Fahrt. Die Windschutzscheibe beschlug bereits. Herr im Himmel, warum rief denn die Funkerin nicht endlich den Karl-Muck-Platz? Warum wollte niemand aus dem Springer Verlag nach Hause, oder aus dem Unilever-Haus, oder meinetwegen auch aus dem Bronzekeller. Stattdessen rief die Funkerin die ganze Zeit völlig abgelegene, untypische Posten.
Wählingsallee, zum Beispiel, oder:
»Bergedorf.«
Normalerweise hörte ich im Funk inzwischen nur noch, was mich anging, aber jetzt achtete ich auf jedes Wort, als könnte ich dorthin entkommen.
»Vierachtneun, der Bahnhofskiosk … Danke, Vierachtneun.«
»Nicht einmal Dietrich kann dich so verstehen wie ich, obwohl Dietrich unheimlich klug ist«, fuhr Rüdiger fort.
»Rahlstedt … Bereich Rahlstedt.«
» Er ist der intelligenteste Mann, dem ich je begegnet bin.«
»Dreimaldieeins. Rahlstedter Straße 7, Gerowitzki oder so ähnlich. … Danke Dreimaldieeins. … Posten Altona.«
»Außerdem hat er Stil, was ja den allermeisten abgeht. Dandytum ist für dich natürlich kein Begriff, weil du ja aus der Vorstadt kommst, aber sogar du wirst gemerkt haben, …«
»Bereich Altona.«
»… dass er eine Klasse hat, die woanders nicht leicht zu finden ist. Hast du die Bilder in seiner Wohnung gesehen? Meistens
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