Taylor Jackson 01 - Poesie des Todes
“Du gibst dich sehr tapfer. Aber wie geht es dir wirklich?”
Betsy fiel ein wenig in sich zusammen, versuchte ein Lächeln, aus dem nur eine Grimasse wurde. “Es tut schweinisch weh. Es ist mir höllisch peinlich. Ich fühle mich wie ein Idiot. Mein eigener Verdächtiger vergewaltigt mich? Ich meine, wirklich, wenn das in der Truppe bekannt wird, werde ich abtreten müssen. Keiner der Jungs könnte mir wieder unbefangen gegenübertreten. Brian stirbt tausend Tode, weil er mich so sehen muss.”
“Aber Brian hat auch mehr als nur ein professionelles Interesse an dir, oder?”
Betsy rutschte unruhig hin und her. Die gesteiften Laken raschelten bei jeder Bewegung.
“Erwischt. Wir sind seit gut sechs Monaten zusammen. Er ist ein großartiger Mann. Ich weiß, sie sagen immer, man soll sich nicht mit einem Arbeitskollegen einlassen …” Ihre Stimme verebbte, sie wandte den Blick ab.
Vor dem fürchterlichen Fall, der Taylor beinahe das Leben gekostet hatte, hatte sie miterleben müssen, wie einer ihrer Kollegen aus der Mordkommission angeschossen worden war. Dass sie zu dieser Zeit mit ihm das Bett teilte, hatte kaum jemand gewusst. Taylor schaute in Betsys Augen und fragte sich, ob die weibliche Seite in ihr die Schwingungen dieser längst verstorbenen Affäre aufgenommen hatte. Dann entschied sie, dass die Bemerkung nicht auf sie gemünzt, sondern allgemeiner Natur gewesen war.
“Jetzt erzähl mir, was gestern Abend passiert ist.”
In Betsys Augen erlosch ein kleines Licht, aber sie antwortete. “Ich war auf der Couch eingeschlafen. Ein Geräusch von draußen weckte mich. Ich ging in die Küche, um zu sehen, was los ist, und da war er. Der Rainman, mit seiner schwarzen Skimaske, klitschnass auf meinen Küchenboden tropfend. Ich versuchte, die Situation im Griff zu behalten, weißt du.”
“Wo war deine Waffe?”
“Oh, natürlich oben im Safe. Ich bin wirklich vorsichtig mit ihr – meine Schwester bringt alle naselang unangekündigt ihre Kinder mit. Ich will nicht, dass ein Unfall passiert. Also habe ich versucht, mit ihm zu reden. Hab ihn gefragt, was er in meinem Haus macht. Er hat keinen Ton von sich gegeben, sondern ist nur so durch die Küche geflogen, als hätte man ihn aus einer Kanone abgeschossen. Er hat mir so fest ins Gesicht geschlagen, dass ich sofort ohnmächtig wurde. Als ich wieder zu mir kam, war er schon fertig und weg. Ich war nicht mal bei Sinnen, als er mich vergewaltigt hat. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. Aber ich bin froh, dass ich mich nicht daran erinnere, zumindest im Moment nicht. Die Verletzungen alleine reichen, da braucht es nicht auch noch die Erniedrigung, verstehst du?”
Taylor verstand. Und dankte ihren Schutzengeln.
“Was ich seltsam fand, er war innerhalb von zwanzig Minuten da und wieder weg. Ich erinnere mich, dass es Viertel nach drei war, als ich das Geräusch hörte. Als ich aufwachte, war es ungefähr zwanzig vor vier, und er war schon lange fort. Nicht viel Zeit, um sich zu vergnügen, oder?”
Taylor stand auf und trat ans Fenster. “Aber er hält sich nie lange am Tatort auf, nicht wahr? Die anderen Frauen, die er vergewaltigt hat, sagen, er wirkte ziemlich leidenschaftslos. Hattest du den gleichen Eindruck?”
“Bevor oder nachdem er mich niedergeschlagen hatte?”
“Okay, verstanden.”
“Taylor, wir beide wissen, dass es diesem Typen nicht um Sex geht. Er ist nur ein armseliger kleiner Mann, der das Bedürfnis hat, etwas klarstellen zu müssen. Vorher ist er noch nie gewalttätig geworden.”
“Glaubst du, er wird weitermachen?”
“Ich weiß es nicht.”
“Lass mich dich eines fragen: Woher weißt du, dass es der Rainman ist?”
“Oh, haben sie dir das nicht gesagt? Wir haben DNA-Spuren von ihm gefunden.”
“Aber ihr habt doch bisher noch nie DNA gefunden, oder? Das sind ja großartige Neuigkeiten.”
Betsy schüttelte vorsichtig den Kopf und verzog vor Schmerzen das Gesicht. “Wir hatten auch bei den anderen Vergewaltigungen DNA-Spuren. Er benutzt ein Kondom, aber er geht ziemlich schlampig damit um. Wenn er es abzieht, lässt er immer einen oder zwei Tropfen zurück. Wir haben diese Tatsache unter Verschluss gehalten, weil wir das verdammte Tennessee Bureau of Investigation nicht dazu kriegen, die neueren Proben in angemessener Zeit durch CODIS laufen zu lassen. Zumindest nicht in naher Zukunft.”
Die CODIS-Datenbank des TBI war auf mindestens ein Jahr im Voraus ausgebucht. Die kombinierte
Weitere Kostenlose Bücher