Taylor Jackson 01 - Poesie des Todes
nicht, ohne dass sie auch ihren Preis bezahlt hätte.
Sogar nach all diesen Monaten sah sie noch immer das Messer auf sich zukommen, fühlte, wie es ihr ins Fleisch biss. Sie hatte den Mann umgebracht, aber vorher hatte er ihr noch eine dauerhafte Erinnerung verpasst: einen üblen Schnitt quer über ihre Halsader.
Unbewusst griff sie mit der Hand nach ihrer Kehle. Sie hätte es nicht anders haben wollen. Sie und Baldwin waren ein gutes Team. Damals, als sie beinahe gestorben wäre, war er nicht für eine Sekunde von ihrer Seite gewichen. Bis heute. Und trotzdem, wieder in dieser Notaufnahme zu sein gruselte sie. Mit einem tiefen Atemzug verdrängte sie die Gedanken.
“Fitz, was meinst du, wo sie sein könnte?”
“Vermutlich im OP-Bereich. Der Chief hat darum gebeten, sie als Jane Doe anzumelden, sodass die Presse keinen Wind von der Geschichte bekommt. Mal sehen, ob das funktioniert hat.” Er ging hinüber zum Empfangstresen, zeigte seinen Dienstausweis und fragte nach dem Zimmer von Jane Doe. Mit einem Lächeln drehte er sich zu Taylor um und zeigte auf die Fahrstühle, dann schlenderte er davon, bevor die Rezeptionistin zu neugierig werden konnte. Bis hierher hatte die List schon mal funktioniert.
Taylor gesellte sich zu ihm, und schweigend fuhren sie in den OP-Bereich hinauf. Der antiseptische Geruch sickerte durch die Fahrstuhltüren, bevor diese sich überhaupt geöffnet hatten. Taylor wurde von einer Welle der Erinnerung an ihre Zeit hier im Krankenhaus überrollt. Es tat ihr leid, dass Betsy die dunkle Seite des Polizeidienstes kennenlernen musste – sich von einem Angriff zu erholen. Es passierte nun mal; nicht jedem, aber trotzdem oft genug. Bevor sie sich an alle Einzelheiten der Schmerzen erinnern konnte, öffneten sich die Fahrstuhltüren, und sie und Fitz gingen direkt zum Schwesternzimmer.
“Haben Sie hier oben eine Jane Doe?”, fragte Taylor und versuchte, ganz normal zu klingen. Die Frau schaute sie direkt an und Taylor erkannte, jeder hier wusste, dass Betsy Garrison Jane Doe war. Aber die Schwester spielte mit.
“Sie ist gerade zurück aus dem Aufwachraum. Der Doktor ist bei ihr. Den linken Flur entlang, Zimmer 320.”
Sie bedankten sich und gingen zu dem angegebenen Zimmer. Sie spähten hinein und sahen zwei Männer. Der eine war der diensthabende Arzt in seiner grünen OP-Kleidung, der andere Brian Post, Betsys Partner. Er sah angeschlagen aus, aber nach einem Augenblick lachte er und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Krankenbett. Taylor klopfte leise an die Tür. Alle schauten auf und winkten sie und Fitz dann herein.
Betsy Garrison, die zähe, lebhafte Leiterin der Abteilung für Sexualverbrechen bei der Metro Police, saß in ihrem Bett; ein dicker weißer Verband bedeckte die linke Seite ihres Kopfes. Sie sah zusammengeschlagen und müde aus, aber lächelte so herzlich, wie es ihr nur möglich war.
“Taylor, Fitz, kommt rein.”
Taylor setzte sich auf die andere Bettseite, gegenüber von Post, der Betsy mit besitzergreifendem Blick im Auge behielt. Interessant, dachte Taylor. Scheint, als ob Post ein mehr als nur berufliches Interesse an seiner Partnerin hat.
Sie beugte sich vor und umarmte Betsy vorsichtig. Fitz lehnte sich an die Badezimmertür. Er war etwas altmodisch und konnte es nicht gut haben, Frauen in Bedrängnis zu sehen. Betsy bemerkte es sofort. Ihre Stimme krächzte leicht, als sie sprach; sie war immer noch rau von der Narkose.
“Fitz, ich sehe, dass dein ritterlicher Gerechtigkeitssinn getroffen ist. Warum nimmst du nicht Brian mit und besorgst ihm eine Tasse Kaffee? Er bemuttert mich sonst noch zu Tode.”
Das musste sie Fitz nicht zweimal sagen. Mit dem Zeigefinger winkte er Post zu sich heran, der nur widerwillig aufstand. Nach einem kleinen Kuss auf das einzige nicht verbundene Stück von Betsys Stirn folgte er Fitz dann aus dem Zimmer.
Taylor setzte sich bequem hin und schaute Betsy erwartungsvoll an. Sie kannten einander seit einigen Jahren, waren sogar mal zusammen Streife gefahren. Sie waren so gute Freundinnen, wie es zwei weibliche Cops sein konnten, und hatten gegenseitig großen Respekt voreinander.
Betsy sprach als Erste. “Es sieht schlimmer aus, als es ist. Er hat meine Nase und meinen Wangenknochen gebrochen. Aber sie haben alles wieder gerichtet, und ich werde besser aussehen als jemals zuvor. Dieser süße Doktor hat meine Nase gerichtet, als ich in Narkose lag. Kein Höcker mehr!”
Taylor schenkte ihr ein kleines Lächeln.
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