Taylor Jackson 02 - Der Schneewittchenmörder
egal wie, stellen sie eine große Abweichung zu den früheren Morden dar. Im Moment spielen wir mit der Idee, dass es sich um eine Art religiöses Ritual handelt.“
„Es gibt also keine haarigen Beweise?“
„An den Fundorten? Nein, da war nichts.“
„Nein, ich meine, das Haar der Mädchen ist nicht an den Wurzeln herausgezogen worden wie bei den ersten Opfern?“
Taylor und Fitz schauten sich an. „Nicht dass wir wüssten“, erwiderte Fitz dann.
Kimball ging zu den Kartons auf seinem Tisch, öffnete den Deckel des mittleren und setzte eine goldgerahmte Lesebrille auf. Er blätterte die Akten durch und zog schließlich einen Umschlag mit der Beschriftung „Fotos“ hervor. Auch hier blätterte er eine Weile, bis er das Gesuchte fand. Er hielt es Taylor hin.
„Das Bild ist von Vivienne Whites Hinterkopf. Sehen Sie die kleine kahle Stelle? Wir haben immer angenommen, dass er ihre Köpfe so hart nach hinten zieht, dass er die Haare an den Wurzeln herausreißt. Es war das Gleiche bei allen zehn Mädchen. Ein kahler Fleck, direkt am Haaransatz. Ich weiß nichts von irgendeiner Creme, die auf den Leichen gefunden wurde, aber das fehlende Haar war für uns ein wichtiger Hinweis.“
Taylor schürzte die Lippen. „Davon stand nichts in den Akten.“ Sie sah Kimball an. Ein gemeiner Gedanke nagte an ihr. Sie hasste es, das Schlimmste anzunehmen, aber es war schon vorher passiert.
„Kimball, kann es sein, dass uns hier etwas entgeht? Sind unsere Akten unvollständig?“
Er hob eine Augenbraue. „Die Frage kann ich nicht beantworten. Deshalb habe ich ja diese Kisten vorsichtshalber aus der Garage geholt. Sie wissen doch, wie das ist. Im Laufe der Jahre gehen Akten verloren. Der Fall ist zwanzig Jahre alt. Aber Sie dürfen sich hier gerne bedienen, wenn Sie mögen.“
„Das weiß ich sehr zu schätzen, vielen Dank.“
Kimball umrundete den Tisch und setzte sich auf einen Stuhl. Er zog eine Pfeife hervor und fing an, sie zu stopfen. Der Geruch erinnerte Taylor an ihren Großvater, einen Mann, den sie nicht sonderlich gut gekannt hatte. Wenn sie in den Spiegel schaute, erkannte sie eine gewisse Ähnlichkeit, und wenn sie spürte, wie ihr Temperament mit ihr durchzugehen drohte, wusste sie, dass sie das von ihm geerbt hatte.
„Noch etwas, das ganz oben auf Ihrer Liste steht?“
Taylor lächelte. Der Mann schien noch genauso blitzgescheit wie früher.
„Mich würde interessieren, warum er der Schneewittchenmörder genannt wurde.“
Kimball erwiderte ihr Lächeln. Dann stand er auf und trat ans Bücherregal. Er fuhr mit dem Finger an den Buchrücken auf dem dritten Regal von unten entlang, das gerade hoch genug war, dass er sich nicht bücken musste, um die Titel zu lesen. Dann hatte er gefunden, was er suchte. Ein abgegriffenes, abgenutztes Buch, das sehr alt aussah.
Er wandte sich wieder ihnen zu. „Ich fürchte, das war meine Schuld. Meine Tochter Stacy, Sabrinas Mutter, war noch ein kleines Mädchen, als der erste Fall bekannt wurde. Ich las ihr abends immer eine Geschichte vor, bevor ich sie ins Bett brachte. Ich versuchte, dieses Ritual auch beizubehalten, wenn ich Spätschicht in der Mordkommission hatte. Ich las ihr vor, brachte sie ins Bett und ging dann zur Arbeit.“
Er betastete das Buch. Taylor sah, dass es einen Goldschnitt hatte.
„Tja, das hier war die Geschichte, die ich ihr an jenem Abend vorlas. Es schneite ganz fürchterlich, und ich bin mit dem Gedanken zur Arbeit gefahren, dass wir eine ruhige Nacht vor uns hätten. Stattdessen wurden wir zu dem Gelände hinter der alten Schütte gerufen, wo die Schwulenbars an der Melrose sind. Sie wissen, wo ich meine, direkt neben der Franklin Road? Heute ist da alles zugebaut.“
Taylor nickte.
„Das war Tiffani Crowdens letzte Ruhestätte. Ich kam an den Tatort und sah sie da im Schnee liegen. Sofort kam mir das Märchen in den Sinn.“
Er schlug das Buch auf. Es brauchte kein Lesezeichen, um an der gewünschten Stelle aufzublättern. Die Worte, die er las, jagten Taylor einen Schauer über den Rücken.
„Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab, da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und als sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich: “Hätt’ ich doch ein
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