Taylor Jackson 03 - Judasmord
Umgebung, während ihr Unterbewusstsein gegen den Drang ankämpfte, zu fliehen. Es war kein gewöhnlicher Geruch, und einen Moment lang raste ihr Herz. Eine normale Erstreaktion, geboren aus reinem Selbstschutz, wäre es, so schnell wie möglich fortzulaufen. Einige Hunderttausend Jahre Evolution warnten sie – hier lauerte Gefahr. Sie hatte das schon zuvor empfunden und wusste, dass es in wenigen Sekunden vorbeigehen würde. Sie ließ sich Zeit, sich daran zu gewöhnen, und fing an, durch den Mund zu atmen. Sam neben ihr tat das Gleiche. Sie waren darauf trainiert, es zu unterdrücken.
Taylor ließ ihren Blick durch den vor ihr liegenden Raum wandern. Sie stand in einem mit Marmor gefliesten Foyer. Auf dem Tisch an der nächsten Wand stand eine Reihe Bilder in Silberrahmen – glückliche, lächelnde Frischverheiratete vor einem sommerlichen Wald. Die Treppe lag direkt zur Rechten. Holz mit einem elfenbeinfarbenen Berberläufer. Gleich hinter dem Geländer befand sich der Eingang zum Esszimmer, das mit schweren, dunklen Eichenmöbeln, viel Silber und Kristall und einem überdimensionierten Geschirrschrank eingerichtet war. Zur Linken führte ein kurzer Flur in ein großes Zimmer. Der Boden im Esszimmer bestand aus polierter Eiche, der große Raum war mit dem gleichen Berber ausgelegt wie die Treppe.
Alle paar Zentimeter fanden sich kleine rote Fußspuren. Kleine Fersen hier, kleine Zehen da. Sie sahen aus wie Mäusespuren, rein und raus, vor und zurück, die Treppen hinauf und hinunter, in den großen Raum und von da aus in die Küche, die Taylor am anderen Ende des Esszimmers erblickte. Sie waren überall; einige zart, kaum rosafarben genug, um auf dem Teppich sichtbar zu sein. Andere nur in Umrissen. Näher an den Treppen gab es ein paar dunklere Abdrücke, die aussahen, als wären sie noch feucht. Sam atmete hörbar ein.
Taylor zwang ihr Hirn, das Gefühlszentrum zu verschließen, das ihr erlauben würde, die Verzweiflung nachzuempfinden, die das kleine Kind bei seiner Wanderung durch das Haus auf vom Blut der Mutter verschmierten Fußsohlen gespürt haben musste.
„Ich bin Lieutenant Taylor Jackson von der Mordkommission“,sagte sie laut für die Videokamera. „Ich bin die leitende Ermittlerin an diesem Tatort im 4589 Jocelyn Hollow Court. Ich werde einen Rundgang durch das Erdgeschoss des Gebäudes machen.“ Mit einem Nicken ins Sams Richtung ging sie nach rechts ins Esszimmer, wobei sie achtgab, den blutigen Spuren auszuweichen. Sam folgte ihr auf dem Fuß, und Tim und Keri kamen zum Schluss. Sie bewegten sich wie eine Einheit und nahmen ihre Umgebung schweigend in sich auf.
Die Fußabdrücke schlängelten sich durch das Esszimmer, um den Tisch und zurück in die Küche. Es gab keinen bestimmten Rhythmus, kein erkennbares Muster, nur eine sich hierhin und dorthin schlängelnde Spur, wie sie typisch für ein kleines Kind war, das ziellos durchs Haus streicht. In einigen Ecken gab es nur schwache Abdrücke, kleine Spritzer, in anderen voll ausgebildete Spuren. Taylor fand das logisch. Nach genügend Schritten war das Blut abgewischt. Und der unsichere Gang eines Kleinkindes erklärte auch die anderen Widersprüchlichkeiten.
Das Esszimmer war durch eine Tür von der Küche getrennt, doch die wurde von einer Stoffkatze offen gehalten. Die Tür war weiß, hatte sechs Fenster und war mit etwas bedeckt, das nach von Kirschsaft verschmierten Fingerabdrücken aussah. Taylor wusste jedoch, um was es sich wirklich handelte; das kleine Mädchen war mit seinen blutigen Händen an der Tür entlanggestreift, als es von Raum zu Raum ging.
Die Küche war kindersicher; alle Türen der Unterschränke hatten einen Schließmechanismus. Der Geruch von Verdorbenem war hier strenger, und Taylor erblickte eine Plastiktüte mit einem Hühnchen darin in der tiefen Edelstahlspüle. Nun, das erklärte den Gestank hier unten. Wenn das Opfer seit zwei Tagen nicht mit seiner Schwester gesprochen hatte und das Hühnchen langsam wieder zum Leben erwachte, standen die Chancen gut, dass es schon mindestens einen Tag lang tot war. Taylor legte ein Hühnchen nur in die Spüle, wenn sie es auftauen wollte und ausreichend Zeit hatte. Das gab ihnen eine gute Zeitvorgabe – ein Tag zum Auftauen und ein Tag, um anzufangen zu stinken. Es könnte aber auch gut sein, dass das Opfer vom Einkaufen zurückgekommen war und nicht alles hatte wegräumen können, bevor der Angreifer aufgetaucht war. Sie brauchten die Lebertemperatur oder den
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