Team Zero 1 - Heißkaltes Spiel (German Edition)
zumindest hatte ihr diesen Gefallen nicht getan. Er war schlau und hatte seine Handlungen bis ins kleinste Detail geplant. Doch für den gegenwärtigen Moment hatte sie ihre Hausaufgaben ebenfalls gewissenhaft erledigt. Sie war seiner Aura gefolgt, hatte ihn drei Tage observiert und sich nicht, wie sonst, auf seine letzten Gedanken und seine Vorhaben verlassen. Sie kannte nun jeden Winkel seines Verstandes. Jede noch so schmutzige Einzelheit seiner Fantasie.
Dabei hatte sie sogar eine Gemeinsamkeit entdeckt. Auch sie nahm niemals etwas auf die leichte Schulter, und wenn sie sich für einen Auftrag entschieden hatte, war sie verbissen genug, bis zum Ende zu kämpfen. Heute würde dieser Kampf zu ihren Bedingungen entschieden werden. Der Adrenalinspiegel war bereits gestiegen und hatte jegliches Gefühl von Müdigkeit verdrängt. Sie war hellwach, nahm jedes Geräusch, jede Bewegung wahr. Nein, heute würde er kein leichtes Spiel mit ihr haben.
Vor einer Stunde war sie noch bei ihm gewesen, hatte die junge Frau, Marie, gesehen, die er sich angelacht hatte. Wie eine Klette hatte diese sich an ihn gehängt. Ihr war nicht annähernd bewusst gewesen, mit wem sie sich einließ. Und dann hatte er sie hierhergebracht, in diese schäbige Siedlung. Bisher hatte er eine Vorliebe für junge, hübsche Frauen gezeigt. Nun würde ihm das zum Verhängnis werden.
Durch die unbewusste Mithilfe von Marie, zusammen mit dem anonymen Tipp, der in der Zentrale eingegangen war, war sein Schicksal besiegelt worden.
Die Spannung, die inzwischen von Josys Team ausging, konnte man förmlich fühlen. Sie hörte die Erregung beinahe knistern wie das Geräusch einer Hochspannungsleitung. Gerne hätte sie jedem Teammitglied versichert, dass sie alles unter Kontrolle hatte. Doch dann würde sie in Erklärungsnot geraten, also ließ sie es wie immer bleiben und verließ sich stattdessen auf ihreVorbereitungen und auf ihre Intuition.
Plötzlich spürte sie wieder dieses zarte Raunen, das durch ihren Körper streifte. Darauf hatte sie gewartet. Sie brauchte nur dieses Gefühl. Ein Summen, das durch ihr Bewusstsein drang. Als käme man mit einer Wünschelrute über eine Wasserader.
„Fahr hier rechts ran“, wies Josy den Fahrer an. Er lenkte den Einsatzbus an die Stelle, die sie ihm aufgetragen hatte, und schaltete den Motor ab. Derweil besah sie sich die Umgebung. Prägte sich jedes noch so kleine Detail ein. Sie senkte den Blick, schloss die Augen und richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihn. Sofort spürte sie dieses Prickeln im Nacken, das sich rasend über ihren ganzen Körper ausbreitete. Sie lockerte ihre Schilde. Ihr Geist begann, sich aus ihrem Körper zu schälen. Verdichtungen wandelten sich in Energiegebilde. Wie kleinste Fasern von Stoff hielten sie aneinander fest. Sie hob ab und tauchte ein in leuchtendes Licht, das sie wie zähflüssige Masse umschloss. Rasch verschmolz sie mit Licht und Hitze, gab sich ihren Sinnen hin und suchte nach dieser individuellen Kombination, nach seiner Note, nach seinem Seelenabdruck aus Mord, Lust und düsterer Freude. Als sie ihn erfasste, legte sie die Fäden ihres Bewusstseins um seinen Geist.
Es fühlte sich an, als ließe sie ihren Körper als leere Hülle zurück, während sie in einem anderen Kopf als unbeteiligte Beobachterin Platz nahm. Es dauerte nur wenige Sekunden, um ihre Sinne an die neue Situation anzupassen.
Dann betrachtete sie die Welt aus den Augen eines Mörders.
Er verließ das Badezimmer im Erdgeschoss und schloss leise die Tür hinter sich. Über seine kräftigen, flinken Hände hatte er weiße Latexhandschuhe gezogen, die sich wie eine zweite Haut anfühlten. Doch jetzt, wo seine Gedanken und Gefühle Josy durchströmten, wusste sie, dass er diese Handschuhe nicht nur trug, um keine Spuren zu hinterlassen, es ging auch darum, eine Barriere zwischen sich und seinem Opfer zu schaffen. Eine Distanz, die er kontrollieren konnte. Auf seinem Weg über einen dunklen Flur in das angrenzende Wohnzimmer griff er nach dem Nylonseil, das er bei seiner Ankunft unbemerkt dort hingelegt hatte.
Seine Gedanken überschlugen sich. Josy nahm seine Zerrissenheit wahr. Er trug einen inneren Kampf aus: der Sadist gegen den Mörder. Energisch zwang er sich zur Zurückhaltung. Er wollte Herr der Lage bleiben. Josy spürte seine Angst, der Mörder könnte allzu schnell die Oberhand gewinnen und den Sadisten um sein Vergnügen bringen. Nicht der Tod an sich war sein Verlangen, sondern der Schmerz,
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