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Techno der Jaguare

Techno der Jaguare

Titel: Techno der Jaguare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manana Tandaschwili , Jost Gippert
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Sie hatte Angst vor den Leuten, und so verließ sie den selbstsicheren Strom der Straße, wurde aber auf dem Gehsteig von einem quer gestellten, selbstgezimmerten Verkaufsstand aufgehalten, auf dem sich Bücher stapelten.
    Der rüstige, elegante Verkäufer in seinem abgetragenen Regenmantel ruhte so fest in sich selbst wie der Katalog der Akademiebibliothek.
    »Bücher!« Ihr Herz schlug höher bei dem Anblick, und das war etwas völlig Neues für sie. Misstrauisch beäugte sie den Mann. Bestimmt waren seine Machenschaften die Ursache dafür, dass in ihrem Kopf Bücher sprossen, beschloss sie. Sie beobachtete ihn lange, und schließlich stöckelte sie zu ihm hinüber.
    »Ähm, wie soll ich sagen … Wissen Sie … Welches Buch würden Sie mir empfehlen?«
    »Werteste junge Freundin, Sie sollten Don Quijote lesen!« Seine Augen lächelten sie an. Das Gleiche hatte übrigens ein berühmter Chirurg geantwortet, auf die Frage eines Studienanfängers, der wissen wollte, wie man Arzt wird.
    Dieser seltsame Mann war keinesfalls langweilig, aber im Wind schlugen Tinos Bücher wie wild mit den Seiten, und es gab keinen Unterschied zwischen ihnen, weil sich auch der Buchhändler mit beiden Händen zu schützen versuchte. Wehende Winde und sich drehende Windmühlenflügel verstärkten nicht gerade ihren Kampfgeist.
    »Kaufen Sie auch Bücher an?«, fragte Tino und fasste sich an den Kopf.
    »Je nachdem, um was es sich handelt.« Die Melancholie des Buchhändlers war grenzenlos, wie die äußere Hülle des Leviathan. Tino ließ ihren Blick pro forma über die Auslage schweifen. »Ich schaue in den nächsten Tagen noch mal vorbei«, murmelte sie, dem Stand zugewandt, denn die Augen des Händlers flößten ihr Furcht ein.
    »Ich erwarte Sie morgen, bei Tagesanbruch.« Der Buchhändler benahm sich wirklich verdächtig.
    Der Taxifahrer hatte seinen Schlagersender eingeschaltet und war in der Musik versunken wie die rote Sonne im Meer bei Capri. Erst als sie ausstieg, wandte er sich seiner Kundin zu: »Das sehe ich zum ersten Mal, dass so eine hübsche junge Frau wie Sie einen Malerhut aus Zeitungspapier trägt!«
    Die Straße war gesperrt. Tino hatte Mühe, sich den Weg durch die Demonstranten zu bahnen. Manch einem schien sie einen Papyrus auf dem Kopf zu tragen, manch einem einen verstaubten und altmodischen Folianten, die Mehrheit aber nahm sie als eine Apologetin wahr, der die Memoiren Tausender demokratischer und überparteilicher Führer als Kopfbedeckung dienten.
    »Als wessen Text werde ich hier eigentlich gelesen?« Aufgebracht setzte Tino die Ellenbogen zu ihrer Verteidigung ein. Die Bücher entflammten, als hätte man sie ins Kaminfeuer geworfen, wurden zu Asche und stiegen dann wieder auf wie ein Phönix: wieder in DIN-A5-Größe, 120 mg, gelbes Papier, Fadenheftung, mit einem farbigen, festen Einband, laminiert, reich verziert, mit verschnörkelten Beschlägen und Goldprägung.
    Bei einer Wechselstube bog sie ein, und bald darauf mischte sie sich unter die Trauergäste.
    Die Angehörigen schauten missbilligend auf ihre weinroten Bücher. Tino erstarrte. Sie war in ein Fettnäpfchen getreten.
    So stellte sie sich verschämt in den Hauseingang. Ihr flehender Blick musterte die Besucher, fand aber kein einziges bekanntes Gesicht. Mit gesenktem Kopf und auf ihr Handy konzentriert, harrte sie noch die obligatorischen zehn Minuten aus, dann verschwand sie in Windeseile.
    »Warten Sie doch!«, rief jemand von oben hinter ihr her. »So einen spannenden Krimi findet man nicht auf dem Markt …«
    Tino ging umso schneller weiter.
    »Tja, wie immer: an der interessantesten Stelle …«, seufzte der Liebhaber kostenfreier Lesesäle.
    Von der Fülle der Eindrücke überwältigt, beschloss Tino, sich erst einmal hinzulegen. Im Schlaf leerte sich ihre Festplatte wieder. Gut erholt wachte sie auf, gerade rechtzeitig, um die Einladung zur Party wahrzunehmen.
    Ein Kleid mit Schlangenhautmuster, figurbetont, rückenfrei und hochgeschlossen, knöchellang und breit ausgestellt, Handtasche und Schuhe aus vergoldetem Krokoleder, das einseitig gescheitelte Buch diamantbesetzt und das kleinere im Nacken wie eine Jubiläumsausgabe in Kängurufell gebunden – ihretwegen brauchte sich ihr Geliebter wirklich nicht zu schämen.
    Sie verriegelte das goldene Schlösschen des Buchs in ihrem Nacken: niemand sollte in ihren Büchern etwas lesen können. Sie war die Inkarnation des Mysteriösen.
    ›Belesenheit‹ in Bewegung
    Der Geliebte kam mit

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