Techno der Jaguare
ich in dem verfluchten Hauseingang meine Schnürsenkel zuband, dachte ich, wenn mich ein anderer so verletzt hätte, ich hätte einfach meinen Geliebten angerufen, und er wäre sicher gekommen und hätte dieses Schwein kaltgemacht. Wen zum Teufel sollte ich jetzt anrufen?
An der Kreuzung musste ich mich setzen, vor dem 24-Stunden-Laden, weil ich Angst vor Hunden hatte und nicht wieder gebissen werden und Spritzen verpasst bekommen wollte. Wenn sie anfangen zu kläffen, renne ich rein, dachte ich. Ich flocht mir die Haare, damit man mich nicht für eine billige Schlampe hielt. Für eine durchgeknallte Schlampe. Aber es hat sowieso niemand angehalten, sie fuhren an mir vorbei, und ich schrie: »Schweine! Faschisten!« Und dennoch hielt keiner an. Am Ende waren mir die Hunde egal, und ich lief mit ausgestreckten Armen auf der Mittellinie bis nach Hause.
Der Weg war ganz schön lang, und nicht einmal die Polizei hielt an. Zu Hause angekommen, schaffte ich es gerade noch, die Stiefel auszuziehen, und ich schlief sofort ein, Gott sei Dank, sonst hätte ich vielleicht den Gashahn aufgedreht, damit wäre alles vorbei gewesen, und man hätte gesagt: Armes Mädchen, sie war doch eigentlich ganz nett, aber halt eine Neurotikerin. Und sie hat getrunken. Ja, sie hat richtig viel getrunken. Die Arme!
Ihr könnt mich mal! Ich werde es schon noch schaffen, das Leben zu genießen, jung zu sterben und einen schönen Körper zu hinterlassen. Nur dass ich das Leben nicht mehr so richtig genießen kann, von Jugendfrische auch keine Rede mehr ist und von Schönheit ebenso wenig.
Schaut, ich bin eingeschlafen und habe geträumt, dass ich ein kleines Mädchen bin und Tatjana mit mir im Muschtaidi-Park spazieren geht. Tatjana ist sich ganz sicher, dass ich klein bin, und fragt mich: »Willst du auf die Pferde?« Ich nicke und lache sie an, wage es aber nicht, etwas zu sagen, weil ich nicht weiß, was für eine Stimme aus mir herauskommen wird; nicht dass Tatjana erschrickt, weil sich im Körper eines kleinen Mädchens ein vierzigjähriges Monster eingenistet hat!
Vielleicht ist es Herbst, ein grauer Tag, graue Pferde drehen sich im Kreis und nicken mit den Köpfen.
***
Das war die Geschichte meiner Heldin. Aber wie in ihrem und meinem Lieblingsbuch, dem Buch der Wandlungen, geschrieben steht, wandelt sich alles, und neulich bin ich dieser Frau wieder begegnet, in einem gediegenen bürgerlichen Lokal. Wieder war sie in Begleitung, ein wirklich attraktiver Mann. Ich werde es nie herausfinden, warum gerade solche Männer auf sie stehen. Die Frau schwang ihre Doc Martens auf den Stuhl, ließ ihre Finger knacken und philosophierte: »Das wahre Leben ist die Liebe. Wenn du liebst, lebst du …«
Ich mag solche Frauen.
MAKA MIKELADZE
EINE MIT BUCH UND IHRE ERLESENE LESERSCHAFT
Marine (Maka) Mikeladze, geboren 1964, arbeitet als Psychiaterin in einem Rehabilitationszentrum für Drogenkranke. 1989–1994 studierte sie Psychiatrie am staatlichen Institut für Medizin in Tbilissi. Neben ihrem Beruf als Psychiaterin schaffte sie den Durchbruch auf der literarischen Bühne als Lyrikerin, Kinderbuch- und Prosaautorin. Sie wurde mehrfach für ihre Werke im Bereich der Kinderliteratur ausgezeichnet, unter anderem für KicklyKickly 2010 mit dem nationalen Literaturpreis für Kinderliteratur. 2011 folgte der georgische nationale Literaturpreis »Saba« für das Buch Ich und mein Kusturica . Zudem gewann sie den Wettbewerb »My City« in der Kategorie Lyrik. Sie veröffentlicht ihre Werke heute hauptsächlich im Internet und publiziert außerdem die literarische Zeitschrift Arili .
In ihrer durch surrealistische Elemente geschmückten Erzählung Eine mit Buch und ihre erlesene Leserschaft , aus Ich und mein Kusturica , thematisiert die Autorin den gesellschaftlichen Wandel in Georgien: eine moderne Dreiecksbeziehung, der immer noch herrschende Macho-Status der Männer in der Gesellschaft, die Angst der Heldin, von der Gesellschaft in ihrer Veränderung nicht anerkannt zu werden.
MAKA MIKELADZE
EINE MIT BUCH UND IHRE ERLESENE LESERSCHAFT
Früh am Morgen, gleich nach dem Aufwachen, wurde ihr klar: Das Leben steckt voller Überraschungen. Ihr Spiegelbild teilte ihr mit, dass ihr über Nacht ein Buch aus dem Kopf gewachsen war.
Am Abend vorher, als sie zu Bett gegangen war, war noch alles in Ordnung gewesen – sie war Tino und sah auch wie Tino aus.
Sie betrachtete die Neuausgabe ihrer selbst genauer. Sie befingerte das Buch. Sie zog daran. Es
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