Techno der Jaguare
eingeloggt?«, fragte er Tino.
Tino kam sich auch ohne diese Frage wie ein Ladenhüter aus dem Antiquariat vor, einfach veraltet.
»Was steht denn da drin?«, fragte sie mechanisch. Eigentlich wollte sie weglaufen.
»Soll ich dir ein Printout machen?«
Der Geliebte war nirgends zu sehen, sonst hätte sie ihn gefragt, ob sie einen dämlichen Eindruck hervorrufen würde, wenn sie jetzt das Wort »Excel« ausspräche.
Unwillkürlich stellte sich Tino Sex mit dem Anführer vor (wahrscheinlich nahm sie unbewusst an, dass Ausdrucken etwas mit Sichvermehren zu tun hätte). Wird er dich vielleicht mit verschiedenen Kabeln an seine Geräte anschließen und einschalten? Piiiep. Ein Knopfdruck, und egal was Tino machen wird: prrt, prrt, tsst, tsst, plints, klints, und der Download ist perfekt.
»Rap? Techno? Supertechno? Was willst du dir reinziehen? Bei deiner Frisur stehst du bestimmt auf Breakdance. Wollen wir?«
Der Break brachte Tino zur Strecke, sie brach fast zusammen, und auch einer ihrer Schuhabsätze brach ab.
Ein kleiner Junge mit Pagenschnitt kam zu dem Anführer und zog ihn am Ärmel.
»Onkel, ich habe einen Virus!«
»Und ich einen Antivirus!«
»Wenn du das Foto von mir und meiner Freundin ohne meine Zustimmung veröffentlichst, werde ich dir das Licht ausblasen.«
Der Anführer schenkte dem gescheiten Jungen einen brandneuen iPod, gab ihm die Erlaubnis, im Ausland zu studieren, und überreichte ihm alles zusammen mit Büchern aus dem besten digitalen Verlag der Welt.
»Wer braucht denn so was? Ein Rolltop wäre mir viel lieber!«, empörte sich das Kind.
Weithin sah man Lichter funkeln, nur Tino stand schon längst im Dunkeln …
***
Hinkend verließ sie den Mandelgarten.
Sie schaute zurück.
Das bengalische Feuer stieg wie ein Wolkenkratzer in die Höhe und zersprang dann in der Luft. Der Mandelgarten sah aus wie ein Kirschgarten, die Funken stoben durch die Zweige und Blätter. Die Mandelblüten glitzerten wie Sterne, und die Sterne glitzerten in verweinten Mandelaugen. Und es war Stille. Timtarim.
Hinter ihr blieb das weite, grüne Schlachtfeld ihres Lebens zurück.
Es war schon halb fünf morgens. Der Himmel färbte sich langsam rosa.
An diesem farblosen Morgen, in dieser farblosen Stadt, vor dem leeren Haus einer leeren Frau stand der Buchhändler vor seinem selbstgezimmerten Stand, als ob er nie weg gewesen wäre, als wartete er auf jemanden.
Tino setzte sich auf die Kante des Gehsteigs und versuchte, den Schuhabsatz wieder anzubringen.
Verzweifelt stampfte sie immer wieder mit dem Fuß auf.
»Ähm … also … Verzeihung, äh … Genügt Ihnen der Bücherverkauf zum Überleben?«
Wieder lächelten sie sich nur mit den Augen an.
»Ich schreibe auch Bücher ab …«
»Mit der Hand?« Tino blickte erstaunt auf.
»Nein, mit Gottes Gnade …«
Die Frau stand auf, ordnete das Buch auf ihrem Kopf und richtete sich auf. Endlich hatte sie verstanden.
»Also, ich muss dann gehen, ich werde mein Buch selbst lesen, ich werde prüfen, was man lassen kann und was nicht, was man auslöschen muss und was man abschreiben muss … was neu ist und was alt … und was immerwährend.«
EKATERINE TOGONIDZE
DER ANDERE W-E-G
Ekaterine Togonidze, geboren 1981 in Tbilissi, Journalistin, Moderatorin und Schriftstellerin, hat die literarische Bühne Georgiens erst 2011 betreten. Ihr Debüt, die Kurzgeschichtensammlung Das Schöne , wurde mit dem Preis »Die beste Erzählung des Jahres 2011« vom Kulturministerium Georgiens ausgezeichnet. 2012 erhielt ihr Roman Anästhesie den nationalen Literaturpreis »Saba« für das beste Debüt des Jahres.
Ekaterine Togonidze hat ein bis dahin tabuisiertes Thema in die georgische Literatur eingeführt: Behinderte und deren Diskriminierung in der Gesellschaft. Durch ihre Erzählung wurde dieses Problem erstmalig offen zur Diskussion gestellt. Sowohl die soziale Perspektive als auch die psychologische Tiefgründigkeit, ihr Stil und ihre Erzähltechnik sind in der georgischen Frauenliteratur einzigartig. Ekaterine Togonidze war selbst einige Jahre als Journalistin tätig. Ihre Erfahrungen in diesem Bereich fließen kaum merklich, aber doch allzeit präsent ein in die Erzählung über Lisa, die einen blinden Bildhauer interviewen will und eine schmerzliche Wunde freilegt, die dieser lange verborgen gehalten hatte.
EKATERINE TOGONIDZE
DER ANDERE W-E-G
»Sie haben es aber schön hier!« Lisa konnte ihre Begeisterung kaum zurückhalten. »Ihr Haus liegt ja
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