Teller, Janne
sie für immer wegschicken. Denn als Ole antwortete, das käme
nicht in Frage, beharrte sie nicht mehr darauf, sondern sagte nur:
»Wir müssen
uns unbedingt genau merken, wie die Blumen liegen, damit wir sie anschließend
wieder an den richtigen Platz legen können .«
Ole gab
nun den Befehl, dass Jan-Johan mit einem Spaten kommen solle, den zweiten
konnten wir aus dem Geräteschuppen von Richards Eltern leihen. Der fromme Kai
sollte seinen Zeitungswagen mitbringen und Elise und ich jede eine Taschenlampe.
Ole selbst wollte für einen Besen sorgen, um den Sarg abzufegen.
Da am Ende
wirkte der fromme Kai, als ginge es ihm sehr schlecht, und ich glaube, er hätte
geweint, wenn nicht Ole gerade da sagte, dass es nun abgemacht sei: elf Uhr in
Richards Fahrradschuppen.
10
Ich hatte
den Wecker auf halb elf gestellt, aber das wäre nicht nötig gewesen. Ich
schlief nicht ein, sondern lag gut anderthalb Stunden mit offenen Augen in
meinem Bett, bis es Zeit war. Genau fünf vor halb elf stand ich auf, stellte
den Wecker aus und zog Jeans und Pullover an. Ich steckte die Füße in meine
Gummistiefel und nahm die Taschenlampe, die ich auf dem Tisch bereitgestellt
hatte. Aus dem Wohnzimmer war schwach der Fernseher zu hören. Zum Glück hatte
unser Haus nur eine Etage. Ich konnte unbemerkt aus dem Fenster meines Zimmers
klettern, dann ein Buch so einklemmen, dass das Fenster nicht zuschlug, und
schon war ich weg. Es war kälter, als ich vermutet hatte.
Ich fror
in meinem dünnen Pullover und musste mich abklopfen, um warm zu werden. Ich
hatte erwogen, im Bett zu bleiben. Aber das hätte nichts geholfen, denn Ole
hatte beteuert, wer nicht bei Richard aufkreuze, müsse die Sache am nächsten
Abend ohne die anderen durchziehen. Schon der Gedanke, nachts allein auf dem
Friedhof zu sein, reichte mir, um mich zu beeilen. Rennen half außerdem gegen
die Kälte. Es war erst zehn Minuten vor elf, als ich bei Richards Fahrradschuppen
ankam, aber Jan-Johan und der fromme Kai waren schon da. Es dauerte nicht
lange, dann tauchte auch Elise auf, und kurz darauf erschien Richard in der
Hintertür des Hauses. Punkt elf kam Ole.
»Lasst uns gehen«, sagte er, nachdem er sich vergewissert hatte, dass
alles bereit war: die zwei Spaten, die Taschenlampen und der Zeitungswagen vom
frommen Kai. Keiner sagte etwas, als wir durch die Straßen zur Kirche schlichen.
Auch die Stadt war still.
Abends war
nie viel los in Taering , und schon gar nicht so spät
an einem Dienstagabend. In Richards Straße bewegten wir uns dicht an den Hecken
entlang, bogen in die Straße ein, in der Laura und Sebastian wohnten, rannten
beim Bäcker vorbei und huschten über den Pfad hinter Marie-Ursulas Haus
hinaus auf die Hauptstraße von Taering . So kamen wir
zum Friedhofshügel, ohne anderen begegnet zu sein, außer zwei liebestollen
Katern, die Ole mit einem Tritt verscheuchte.
Der
Friedhofshügel war steil, und die Pfade zwischen den Gräbern waren mit Kies
bestreut. Wir mussten den Zeitungswagen am schmiedeeisernen Tor zurücklassen.
Der fromme Kai hielt davon nichts, aber Ole versprach ihm eine Tracht Prügel,
wenn er weiter Scherereien mache.
Die
Straßen waren fahl und schaurig, da sie von den gelben Straßenlaternen nur
schwach beleuchtet wurden. Nun schirmten große Fichten den Friedhof gegen die
Straße ab. Zwar gaben sie uns einerseits Deckung vor neugierigen Blicken,
sollte jemand vorbeikommen, doch verdunkelten sie andererseits auch die
Straßenbeleuchtung, die jetzt fast gänzlich fehlte. Wir hatten nur noch den
Lichtschein des Halbmonds und der kleinen sechseckigen Lampe beim Eingang zur
Kirche. Und natürlich von den beiden kleinen Keilen, die unsere Taschenlampen
ins Dunkel schnitten. Dunkel. Dunkler. Grabesdunkel.
Ich machte
mir sowieso nie etwas daraus, auf dem Friedhof zu sein. Aber um diese Zeit war
es echt unerträglich. Der Kies knirschte überlaut unter unseren Füßen, egal wie
vorsichtig wir auftraten. Innerlich zählte ich immer wieder bis hundert, erst
vorwärts, dann rückwärts, dann wieder vorwärts und so weiter und so weiter und
noch einmal. Zweiundfünfzig, dreiundfünfzig, vierundfünfzig ...
Wir
mussten in der Dunkelheit eine Weile suchen, bis Elise sich zurechtgefunden
hatte und uns zum Grab ihres kleinen Bruders führen konnte. Siebenundsiebzig,
achtundsiebzig, neunundsiebzig ... Da war es: 3. 1.1990 - 21.2.1992, Emil
Jensen, unser geliebter Sohn und Bruder stand auf dem Stein. Ich sah hinüber zu Elise
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